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Erst Nazi, dann Pastor – kann der Glaube das schaffen?


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Rolf

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Erst Nazi, dann Pastor – kann der Glaube das schaffen?






1. April 2014,



Bei Beate Zschäpe war es vielleicht ähnlich. Man ist jung, fühlt sich allein, bekommt ständig gesagt, dass man nichts taugt. Und dann sind da Menschen, die einen akzeptieren, wie man ist. Einen dafür sogar loben. Die rechte Szene sucht sich genau diese Problemkinder. Beate Zschäpe sitzt heute beim 100. Prozesstag vor Gericht. Johannes Kneifel war auch ein Nazi. Er hat den Ausstieg gefunden, dank seinem Glauben an Gott. Kann der Glaube aus einem Nazi einen Pastor machen?

Johannes Kneifel war 17, als er getötet hat. Seine Welt war damals rechts. Soweit rechts, dass er zum Mörder wurde. Gemeinsam mit einem Kameraden drang Johannes in die Wohnung eines 44-jährigen Sozialhilfeempfängers ein. Für die beiden war er ein minderwertiger Mensch, ein Arbeitsloser, ein Hippie, der sich sogar noch getraut hatte, die Rechten zu kritisieren. Sie wollten ihm einen Denkzettel verpassen und traktierten ihn mit Tritten. Im Krankenhaus starb der Mann. Johannes Kneifel wurde verurteilt und kam ins Gefängnis. Ab da wurde alles anders.

Skinhead wird nach Todschlag Pastor

Um ihn herum waren nicht nur Deutsche. In dem Gefängnis waren auch Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund. Und es waren genau sie, die ihn bei Prügeleien in Schutz nahmen. „Das war das Faszinierende für mich, dass das die ersten Leute waren, die mir eine zweite Chance gegeben haben“, sagt Johannes. Draußen wären sie Feinde gewesen, drinnen waren es Verbündete. „Sie meinten: Wir haben draußen alle Fehler gemacht, deswegen sind wir hier. Aber wenn Du korrekt zu uns bist, dann sind wir korrekt zu Dir.“ Auf einmal fühlte sich Johannes von den Menschen verstanden und angenommen, die vorher seinem absolutem Feindbild entsprachen. Diesen Zusammenhalt kannte er bisher nur aus der rechten Szene.

Er fühlte sich vernachlässigt und alleine

Johannes wuchs in Eschede auf. Seine Mutter litt an Multipler Sklerose, sein Vater war fast blind. Beide konnten sich kaum um den Sohn kümmern. „Ich hab mich oft geschämt, weil in meinem Leben vieles nicht so war, wie ich es mir gewünscht hätte“, beschreibt Johannes seine Gefühle. In ärmeren Verhältnissen aufgewachsen, fühlte er sich häufig benachteiligt und allein gelassen. Dann kamen die Rechten und nahmen ihn auf. Auf einmal wurde er gelobt: “Ne Johannes, Du gehörst zur Elite, Du bist Deutscher, Du bist Arier, Du kannst stolz sein.“ Und da war es dieses Wort, dieser Wert: Stolz. Auf einmal stolz darauf sein, wer man ist, „auch wenn das eigentlich ein bescheuerter Grund ist, damals hat’s mir was gegeben“, sagt Johannes.

Der Stolz und die Kameradschaft waren aber nur die eine Seite, die andere war das Feiern und das Saufen. Auf einmal konnte Johannes so viel trinken, wie er wollte, obwohl er kein Geld hatte. Seine Kameraden haben alles gezahlt, ihre Wohnungen waren Party- und Gemeinschaftsraume, in denen die braune Ideologie zelebriert und an die Jungen weiter geben wurde. „Ich habe Leute kennen gelernt, die Werte hatten, von denen sie überzeugt waren, nach denen sie ihr Leben ausgerichtet haben. Die nicht einfach resigniert haben, sondern die Sachen verändern wollten, auch wenn es einen hohen Preis kostet.“ Kameradschaft, Loyalität, Stolz, das faszinierte den jungen Johannes.

Damals war er Nazi, heute ist der Pastor

Heute ist Johannes 32 und es faszinieren ihn ganz andere Werte. Im Gefängnis wurde er Christ, studierte Theologie und ist jetzt Pastor in einer kleinen Gemeinde in Ostdeutschland. Früher hatte er Werte, heute hat er Werte. Früher hatte er eine Gemeinschaft, heute hat er eine Gemeinschaft. Trotzdem ist er nicht der Meinung, dass er die rechte Ideologie gegen den christlichen Glauben eingetauscht hat: „Der überragende Wert in der rechten Szene war Hass und das, was im christlichen Glauben zumindest theoretisch und oft auch in der Praxis gelebt wird, ist Liebe. Die Liebe Gottes, aber auch die Liebe, die wir untereinander weiter geben.“

Mit dieser Liebe und den Erkenntnissen, die er im christlichen Glauben gewonnen hat, will er anderen helfen, auszusteigen. „Ich glaube, dass es eigentlich ganz viele Leute in der rechten Szene gibt, die so weit sind, dass sie aussteigen würden, aber einfach wissen: ‚Außer der rechten Szene hab ich niemanden. Keiner mag mich, weil ich für alle der böse Nazi bin.‘ Und da wünsche ich mir, bei allem Schlimmen, was in der rechten Szene passiert, was man auch verurteilen muss, dass man trotzdem die Menschen sieht.“

Wie der Ausstieg gelingen kann und wann er gelungen ist

Das Projekt „Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus“ hat sich Gedanken darüber gemacht, wie Ausstiegsarbeit funktionieren kann. Der Ausstieg funktioniert demnach in zwei Schritten. Zuerst distanziert sich derjenige von den Rechten, dann löst er sich von ihnen. Damit das „sich Lösen“ funktioniert ist es wichtig, dass der Aussteiger Halt findet bei neuen Freunden, in der Familie und die alten Gewohnheiten, wie das zusammen Abhängen oder auf Konzerte gehen, durch neue ersetzt werden. Das sieht Johannes Kneifel genauso. Ein Ausstieg kann nur funktionieren, wenn die ganze Gesellschaft mit hilft und dem Menschen eine zweite Chance gibt, so wie ihm seine Mitinsassen und seine Kirchengemeinde eine zweite Chance gegeben haben.

Das Aussteiger-Projekt Exit Deutschland schreibt, dass ein „Ausstieg dann erfolgt, wenn es eine kritische Reflektion, Aufarbeitung und ein erfolgreiches Infragestellen der bisherigen Ideologie gegeben hat“ und „wenn die den bisherigen Handlungen zugrunde liegende und richtungweisende Ideologie überwunden ist.“ Johannes Kneifel hat sich mit seinen Taten und seinen Ansichten im Gefängnis intensiv auseinander gesetzt. Seine Gemeinde weiß um seine Vergangenheit und akzeptiert und respektiert ihren Pastor.

Parallelen zu “Darf ein Mörder Pfarrer werden”

Eine ähnliche Geschichte haben wir mit Euch Anfang Februar diskutiert. Da wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Mörder Pfarrer werden dürfe. Pfarrer Wolfgang Zopora aus Tauberrettersheim schrieb uns damals, „dass ein Mörder in die Nachfolge Jesu treten und damit auch Pfarrer werden darf“ und belegte seinen Standpunkt mit der Bibel. Ingo fand die Frage irrelevant, weil „wir alle Mörder sind. Manch einer aus aktivem Handeln, und die Masse von aus Unterlassung.“ Johannes Kneifel hat auch getötet aus Überzeugung. Sein Opfer war das Feindbild, sein Leben orientierte sich an der rechten Ideologie. Doch er hat sich geändert und Hass in Liebe verwandelt. Heute sagt er: „Ich finde es gut in einer pluralistischen Gesellschaft zu leben, wo Menschen ganz verschiedene Lebenswege einschlagen können: sozial, religiös oder wie auch immer. Und ich empfinde das mittlerweile als Bereichung.“

Können die rechten Werte gegen christliche ausgetauscht werden? Kann der Glaube aus einem Nazi einen Pastor machen? Diskutiert mit!

Weitere Infos zu Johannes Kneifel auf deinpuls.de

Ein Text von Leonie Thim

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