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Ein religiöser Mutterersatz * Kinder in Psychogruppen *


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Rolf

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Ein religiöser Mutterersatz * Kinder in Psychogruppen *




Sekten sind die besseren Familien, sagen die Sekten. Deshalb versuchen sie auch, das Bewußtsein der Jüngsten zu kontrollieren.

(Von Xaver Ringler)

Das traurigste Kapitel im Sektenwesen betrifft Kinder, Kinder jeden Alters. "Sekten suchen immer jüngere Anhänger", beschreibt die Stuttgarter Kultgruppenforscherin Helga Lerchenmüller einen neuen Trend. "Die Werber kommen jetzt schon als Puppen- und Teddybärenvertreter getarnt in Kindergärten."

Der Trick: Die angeblichen Vertreter organisieren Kinderpartys und Gesprächsabende über Erziehungsfragen. Dann flattert den Eltern Post ins Haus. Inhalt: Das Kind sei überaktiv, brauche psychologische Hilfe. Die Sektenforscherin: Absender ist die Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte - eine bekannte Tarnorganisation der Scientology-Sekte."

Das allertraurigste Kapitel betrifft jene Kinder, die in Kulte und totalitäre Gruppen hineingeboren wurden. Die früheren "Jugendsekten" befinden sich in der zweiten Generation. Die sorgt zunehmend für sozialpolitische Spannungen: Sektenkinder aus der Elterngeneration der siebziger Jahre werden erwachsen. Ihre Zahl nimmt zu. Vor allem die Kinder Gottes (heute: Die Familie), Scientology, Ananda Marga, Hare Krishna und Transzendentale Meditation ™ sind immer stärker mit dem Problem der wachsenden Kinderschar konfrontiert. Deren Betreuung kostet mehr Zeit, Energie und Geld, als den Sektenoldies bei all ihrem sonstigen Engagement bleibt. Aber auch Staat und Gesellschaft dürfte das Problem der "zweiten Generation" schon in naher Zukunft auf den Nägeln brennen. "Trotz Bewußtseinskontrolle springen Sektenanhänger, die in einem Kult aufgewachsen sind, als Erwachsene häufiger ab, als man auf Grund der umfassenden Indoktrination erwarten würde"; schreibt Hugo Stamm in seinem Buch "Sekten - Im Bann von Sucht und Macht".

Denn Heilslehre und Leben in der Sekte sind für sie Alltag, die "normale" Realität. Die Faszination ist wesentlich geringer als bei Leuten, die aus der angestammten Welt in eine totalitäre Gruppe geflüchtet sind. Die Versuchung, an der verbotenen Frucht der "bösen Umwelt" zu naschen, ist für viele groß. Falls sie aber den Ausstieg schaffen sollten, laufen sie Gefahr, sozial und psychisch auffällig zu werden. Jahrzehntelang lebten die Sektierer in einem geschlossenen sozialen System. Nun sind sie auf sich selbst gestellt. Was tun mit den heimatlos gewordenen Nachkömmlingen der Sektenoldies ?

Wie drängend das Problem wird, zeigt die hohe Mitgliederzahl der vielen bundesdeutschen Sekten, unter denen es zahlreiche, in den vergangenen Jahrzehnten entstandene "neureligiöse Kulte" gibt. Schätzungen des Bundesverbandes Deutscher Psychologen zufolge sind es über zwei Millionen Menschen - Tendenz steigend. So hoch ist die Zahl der Mitglieder von religiösen Gruppierungen, die theologische Absolutheitsansprüche äussern, also unter Einschluß der Neuapostolischen Kirche. Allein die Zeugen Jehovas konnten die Zahl ihrer aktiven Propheten seit 1975 auf 166.500 mehr als verdoppeln, davon 35.000 in den neuen Bundesländern.

Der Begriff Sekte leitet sich vom lateinischen Secta - Schule, Lehre, Partei - ab. Religion, religio, heißt im ursprünglichen Sinn Rückbesinnung auf das Göttliche. Wieso laufen manche Sektenanhänger bei ihrer religiösen Suche derart in die Irre, daß sie Kinder so perfide mißbrauchen, wie es allenthalben geschieht: daß sie Sektenkinder malträtieren, mißbrauchen, foltern und umbringen ? "Kinder werden in Kulten als Wegwerfartikel betrachtet", diagnostiziert der international renommierteste Erforscher von "destuctive cults" - "(selbst-)zerstörerischen Kulten", der amerikanische Forscher Arnold Markowitz, Leiter der Cult Hotline ans Clinik in New York. "Es herrscht eine Primat der Ideologie über die Biologie." Markowitz hat in den vergangenen zwölf Jahren über 4.000 Sektenopfer und ihre Angehörigen betreut.

Wieso machen Mütter und Väter aus ihrer Seele eine Mördergrube ? Daß Psychologen, Priester und Mediziner eine Antwort suchen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß "es praktisch keinerlei wissenschaftliche Literatur über Kindesmißbrauch in Sekten gibt. Offizielle Untersuchungen", so schreibt Michael D. Langone, Direktor der "American Family Foundation", "werfen nur ein Licht auf einige Aufsehen erregende Einzelfälle."

Schlagzeilen gab es zum Beispiel, als in der Sekte Kinder Gottes auch kleine Kinder an Sexualpraktiken der Erwachsenen beteiligt wurden. Gründer David Berg hatte im Kapitel 58 des Briefes "My little fish" seine Jünger dazu aufgefordert. Weltweites Entsetzen gab es bei der Tragödie von Jonestown in Guyana im Jahr 1978. Fast 300 Kinder wurden getötet, teilweise sicherlich von ihren eigenen Eltern. Das Drama der David-Sekte des David Koresh in Waco, Texas, lief am 19. April 1993 nach dem gleichen Muster ab. Damals wurden 17 Kinder unter zehn Jahren in den Massenselbstmord durch Verbrennung getrieben.

Aufsehen erregte es auch, als zahlreiche Mitglieder der Züricher Schule, einer Vorgängerorganisation des "Vereins zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis (VPM)" sich operativ die Samenleiter durchtrennen ließen. "Der junge Mann, der sich vasektomieren läßt", schrieb Friedrich Liebling, geistiger Vater der Züricher Schule, "will einen Beitrag leisten zum allgemeinen Wohl der Menschheit" - ein Zitat, das in der eigenen Zeitschrift "Psychologische Menschenkenntnis" veröffentlicht wurde. Von dieser Praxis ist der VPM vor fünf Jahren abgerückt, doch haben VPM-Paare weithin keine Kinder.

Großes Medienecho provozierte die Psychotragödie von Anhängern des indischen Gurus Sant Thakar Singh. "Neugeborenen wurden die Augen verbunden und die Ohren verklebt", enthüllte die Starnberger Hebamme Christin Graba nach Hausbesuchen im süddeutschen Sektenzentrum. "Auf diese Weise mußte ein 16 Monate alter Junge bis zu 18 Stunden in einem eiskalten Raum meditieren." Dazu noch wurden die Kinder mit kultischen Videomarathons malträtiert. Diese Psychofolter verhindere, daß "böse Außenwelteinflüsse" das Erreichen "innerer Vollkommenheit und Gottverwirklichung" stören, heißt es in des Meisters "Anleitungen zur spirituellen Erziehung".

Was diese "Blind-und-taub-Meditation" in Wahrheit erreicht, sind "Schwerhörigkeit, Augenleiden und psychische Störungen". Diese Symptome dianostizierte jedenfalls ein Facharzt bei einem Sektenkind, das ein halbes Jahr lang zum Meditieren mit Augenbinde und Ohrstöpseln gezwungen worden war. Die Mutter versteht heute selber nicht mehr, wie sie die Psychofolter an ihrem Kind zulassen konnte.

Sie ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie es dazu kommen kann, daß die Fixierung auf die Gruppe stärker wird als die Mutterliebe. Als es die 25jährige Kathrin Hänel und ihren Mann aus der Ex-DDR ins "Meditationszentrum Buchendorf" in Gauting bei München verschlug, "bot uns die Gruppe das Gefühl der Geborgenheit. Und außerdem fühlte ich mich erhaben im Bewußtsein, zum inneren Kreis einer ausgewählten Elite zu gehören, die angeblich die Menschheit auf den richtigen Weg führen kann." Bei allen Sekten ist der Preis für die Einbindung die Verdrängung der Identität. "Mir wurde eingeredet", sagt Kathrin Hänel, "daß ich mich ziellos vom Schicksal habe treiben lassen, ohne meinem Dasein einen höheren Sinn zu verleihen." Der Sektenkader erklärte, die Überwindung von falschen Werten und Gefühlen sei ein schmerzhafter Prozeß, der manchmal unerwartete Reaktionen auslöse. Novizen seien von selbstzerstörerischen Kräften dominiert, die sich nicht widerstandslos vertreiben ließen.

'"Als bei einem meiner berufsbedingten Besuche ein markerschütternder Schrei durch das Haus hallte", erinnert sich Hebamme Christin Graba, "und ich fragte, was denn das los sei, antwortete mir Kathrin, daß ihr Sohn immer wieder stundenlange Schreianfälle habe. Aber das sei nur sein Gemüt." Dem couragierten Eingreifen der Hebamme ist es zu verdanken, daß Kathrin Hänel den Ausstieg aus der Sekte schaffte und der Führungskader inzwischen wegen Kindesmißhandlung auf Bewährung verurteilt wurde.

Die Gottesvisionen und Heilsvorstellungen von Sektierern erscheinen "normalen" Menschen unerklärlich. Wieso lassen sich Sektenanhänger zu wahnhaften Handlungen zwingen ? Wie kommt es zur ganz besonders perfiden Form von Bewußtseinskontrolle: daß Kinder den Eltern schon im Babyalter entfremdet und in speziellen Kindergemeinschaften aufgezogen werden ?

"Das Interesse der Scientologen am Menschen beginnt bereits vor der Geburt", erklärt Renate Hartwig in ihrem Bestseller "Scientology - Ich klage an!". In seinem "Handbuch für den ehrenamtlichen Geistlichen" erteilt Scientologen-Guru L.Ron Hubbard medizinisch fragwürdige Ratschläge für die angeblich günstige Beeinflussung der pränatalen Phase und der Geburt. Und er fordert sogar Schwangere zum "Auditing" auf. Bei dieser Methode unterwirft man sich völlig dem Therapeuten, dem "Auditor". Ziel ist der Zustand des "Clear". Dazu führen eine Psychoreinigung mit drei bis fünf Stunden Sauna und ein hynoseähnliches Frage- und Antwortspiel.

"Vom Stillen sollte man absehen"

Die Techniken dieser seelisch und körperlich anstrengenden Tortur erinnern manche Kritiker an eine "Gehirnwäsche bei Kriegsgefangenen" (Hugo Stamm in seinem Buch "Sekten - im Bann von Sucht und Macht"). Solche Parallelen hat auch Professor Hans Kind, Direktor der Psychiatrischen Poliklinik in Zürich, in einem Gutachten aufgezeigt und dokumentiert. Dabei bezog er sich auf Originalliteratur von Scientology und auf eigene Untersuchungen der psychischen Reaktionen von ehemaligen Scientologen.

Seine Erkenntnis: Die Therapietechnik des Auditing versetzt die Klienten in hypnoseähnliche Zustände. In ihrem Buch "Scientology - Ich klage an!" zitiert Renate Hartwig aus dem Gutachten vom März 1989: "Obwohl Ron L. Hubbard immer wieder behauptet, Dianetik habe nicht mit Suggestion oder Hypnose zu tun, benutzt er doch die gleichen Techniken der Einleitung und auch der Beendigung, indem ausdrücklich alle möglichen Suggestionen des Auditors wieder gelöscht werden sollen. " Auch für die ersten Monate nach der Geburt hält Hubbard Anleitungen bereit: "Vom Stillen sollte man absehen." An Stelle der Muttermilch - deren positive Bedeutung medizinisch unumstritten ist - empfiehlt er eine Art Trank aus der Römerzeit, den er aus Gerstenwasser, pasteurisierter Milch und Maissirup herstellt.

Für ältere Kinder gibt es spezielle "Theta-Junior-Packs" für das Auditing. Sie werden den Eltern für immense Summen verkauft - damit auch die Jüngsten rasch dem erwünschten Zustand des "Clear" näherkommen. Nur so könne erreicht werden, was Hubbard verspricht: Unsterblichkeit. Ein Stück Weg zu diesem Ziel führt über scientologische Kinderfreizeiten wie das "Kreativ-College" in Wien. "Kinder ab dem zweiten Lebensjahr", so die Scientology-Werbung, "sollen dort die Möglichkeit haben, das Beste aus ihren Fähigkeiten zu machen und Dinge zu lernen". Indoktriniert wird auch in scientologischen Kindergärten, die in Hamburg unter "Happy Kids" und in Baden-Württemberg als "Nursery" firmieren. Dort liefern die Scientologen ihren Nachwuchs morgens ab und holen ihn - teils spät in der Nacht - wieder ab. Erzogen werden die kleinen nach einer speziellen "Kinder-Dianetik"-Methode. "Das grundlegende Dianetik-Bilderbuch" führt in die Ideologie ein.

Mit der "Dianetik"-Methode kann man sich auf der scientologischen Karriereleiter hocharbeiten, um dereinst zu jener Elite zu gehören, die nicht nur die ideologische, sondern auch die reale Herrschaft über die Menschheit ausüben will. Wie dieser Machtanspruch durchgesetzt werden kann, erklärt den Kindern die "Deutsche Zeitschrift für besseres Lernen". Herausgeber ist die Scientology-Institution "Applied Scholastics", die auch Studiergruppen anbietet - in Niederlassungen in Köln, Eisingen, Euskirchen, Leverkusen, München, Starnberg, Velbert und Wiehl.

Scientology betreibt auch eigene Schulen. Zwar wurde es in Deutschland nicht genehmigt, solche "internen Kadettenanstalten" (Exscientologen) einzurichten. Doch schicken viele Scientology-Eltern ihre Kinder nach Dänemark, in die USA oder nach England an die Saint-Hill-Schule in Sussex, wo die scientologische Elite von morgen ausgebildet wird. Als "Musterschülerin" wird eine Zwölfjährige gefeiert. Sie ist das jüngste Scientology-Mitglied, das spezielle "Psycho-Kurse" (Auditing) leiten darf.

Weil geschulte Mitglieder hohes Ansehen genießen, stufen die Eltern die Sektenerziehung höher ein als die Familienbande. Viele Sekten versuchen mit der Trennung der Kinder die emotionalen Bindungen zu den Eltern zu lockern. Denn familiäre Gefühle können für eine Sekte gefährlich werden, weil sie Gemeinschaftsgefühl außerhalb der Glaubensgemeinschaft vermitteln. Ausserdem können die Eltern durch die Erziehung ihrer Kinder ihre Zeit nicht mehr voll und ganz der Gruppe widmen. Bei Scientology sind es immerhin bis zu 70 Wochenstunden.

Scientology scheint eine besonders raffinierte, rabiate und reiche Sekte zu sein. Geschätzter Gewinn 1994 in Deutschland: eine Milliarde Mark; geschätzte Mitgliederzahl: 35.000 (Scientology hat keine formale Mitgliedschaft wie zum Beispiel die Kirchen). Experten zufolge hat diese schlagkräftige Organisation das vermutlich ausgefeilteste System zur Anwerbung entwickelt. Sie zieht alle Register modernster Marketing- und PR-Methoden. Selbst das Sponsoring nutzen die Scientologen geschickt. So warben lange Zeit ein bekannter Motorrad- und ein Autorennfahrer mit der Aufschrift "Dianetik": eine Disziplin der scientologischen Sektenlehre. Zudem fehlt es nicht an bekennenden "Promis", die Kindern und Jugendlichen gefallen. Tom Cruise, John Travolta, Julia Migenes, Kirstie Alley und vor allem Chick Corea sind fest mit Scientology verbunden und diesen der Sekte als Aushängeschilder.

Auch die Zeugen Jehovas - die jetzt die offizielle juristische Anerkennung als Religionsgemeinschaft erwirken wollen - sind keine harmlosen Propheten. Sie ziehen zwar lächelnd von Haus zu Haus, um neue Mitglieder zu werben. Doch üben sie Tugendterror aus und bespitzeln ihre Mitglieder. Die Gemeinschaft, zu der sich weltweit 4,7 Millionen Menschen bekennen, weist dem Oberverwaltungsgericht Berlin zufolge "Merkmale einer totalitären Sekte" auf.

Trennungsschmerzen als "notwendige Prüfung"

Wie aktiv die Zeugen Jehovas sind, zeigt eine Zahl: Sie gaben allein für ihre reisenden Vollzeitprediger im letzten Jahr 48.857.112,38 Dollar aus. Nur diese Zahl wurde vom "Watchtower Bible and Tract Society of Pensylvania/USA" preisgegeben. Die Bilanzen des Konzerns sind geheim. Doch nach Schätzungen verschiedener Sektenkenner setzt der Multi jährlich weltweit etwa vier Milliarden Mark um.

Die enormen Bemühungen der Seelenfänger um Kinder und Jugendliche zeigen: Die Indoktrination in Kinderkolonien ist die rationellste und effizienteste Art, Menschen in den Sektenmilieus zu beheimaten. Der Sektengründer, Guru oder Messias wird letztlich zum göttlichen Übervater, zu dem die Gruppenmitglieder eine reine Beziehung aufbauen können, die nie von Konflikten getrübt wird, erklärt Experte Stamm. "Dieser Übervater dient auch als Mutterersatz, erlaubt eine symbiotische Beziehung und befriedigt den Wunsch nach mystischer Verschmelzung." die Gruppe erscheint als die ideale Gesellschaft von Brüdern und Schwestern, die alle von der gleichen Idee beseelt sind und gleiche Ziele anstreben. Die Sekte ist in den Augen ihrer Mitglieder eine geradezu perfekte "Familie", wie sie nur in der Phantasie einer kindlichen Seele existiert und existieren kann.

In dieser Scheinwelt können Eltern selbst die grausamsten Anordnungen noch als spirituelle Notwendigkeit schmackhaft gemacht werden.

Schließlich sollen die Nachkömmlinge in einer "reinen" Umgebung aufwachsen. Die Leiden der Kinder und die Trennungsschmerzen der Eltern werden als notwendige Prüfung gepriesen. Ist die Fixierung auf die Gruppe stärker als die Mutterliebe, dann können die Eltern ihre Gefühle scheinbar problemlos unterdrücken - ohne Schuldgefühle ihren Kindern gegenüber.

Jedes seelische Vakuum zieht die "Retter" an

Die Sekten verstehen es meisterlich, Ängste und seelische Defizite auszunutzen. Zielsicher legen sie mit ihren Indoktrinationsmethoden den Finger auf die seelischen und sozialen Wunden. Geradezu beispielhaft kann man das gegenwärtig in den neuen Bundesländern beobachten.

"Auf die Angebote der neuen Jugendreligionen reagieren junge Menschen in den neuen Ländern oft wie ein trockener Schwamm", sagt Pater Klaus Funke vom Dominikanerkloster St. Paulus, bischöflicher Beauftragter für Jugendreligionen in Berlin und Ostdeutschland. "Angeworben werden vor allem Menschen, die durch den Verlust von Wohnung, Arbeit oder Ehepartner die Orientierung verloren haben."

"Seelenretter" scheinen jede Art von psychischem Vakuum ausfüllen zu können. Sie legen ihre Saat in das weite Feld der Sehnsucht des Menschen nach Transzendenz. In unserem Unterbewußtsein schlummern Paradiesvisionen, die vor allem in Krisensituationen zum Vorschein kommen. Dann sind wir anfällig für Heilspropheten, dann gibt es für jeden von uns die richtige Sekte... Wie sieht die Zukunft der Sektenkinder aus ? Wenn Ihnen der Ausstieg gelingt, dann sind sie auf Fürsorgeeinrichtungen und spezielle Rehabilitationseinrichtungen angewiesen. Solche aber fehlen weithin. Wenn die Sektenkinder nicht auszusteigen vermögen, erleben sie wohl bald ein "goldenes Zeitalter".

Die Jahrtausendwende steht vor der Tür. Sie wird viele Menschen in irrationale und unkontrollierbare Ängste stürzen, aus denen Sekten und totalitäre Gruppen Kapital zu schlagen suchen. Und dabei möchten die Propheten der "zweiten Generation" eine neue Führungsrolle übernehmen.

Aus: -Das Sonntagsblatt-Hamburg-03-02-95-
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