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Nora Steen: So kam Gott in meine Welt


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Rolf

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Raum im Herzen






Nora Steen: So kam Gott in meine Welt






Die hannoversche Pastorin Nora Steen steht durch ihr »Wort zum Sonntag« zum 1. Advent in der Kritik. Die Adventsbotschaft von der »Menschwerdung Gottes« sei unerwähnt geblieben, kritisiert der konservative Christliche Medienverbund. Sie habe nur den »Zauber« thematisiert, der »Kinderherzen in der Vorweihnachtszeit erfülle«, sie habe von Adventskalendern, Glöckchen und dem »Duft von Zimt, Vanille, Tanne und Bienenwachs« gesprochen, aber die Botschaft von der »Menschwerdung Gottes« habe keine Rolle gespielt. Steen ist Pastorin im evangelischen Kloster Wülfinghausen in Niedersachsen und leitet dort das »Haus der Stille«. Im aktuellen Sonntagsblatt-THEMA »Jesus - Gott kommt in die Welt« schreibt sie über das Kommen Gottes in ihre Welt:

Nora Steen leitet das »Haus der Stille« im evangelischen Kloster Wülfinghausen.

»Gott war irgendwie schon immer da. Das Vaterunser lernte ich am schummrigen Abendbrottisch meiner Großeltern. Aber der Kindergottesdienst und diese Bilder bärtiger Männer auf blauen Wolken haben mich gelangweilt. Irgendwann weigerte ich mich, dort hinzugehen.

Noch als Jugendliche schrieb ich im Gemeindebrief meiner Heimatgemeinde einen Artikel darüber, wie sehr mich Predigten anödeten, weil sie mit Gott und meinem Leben nichts zu tun hatten. Gott war irgendwie schon immer da, aber er kam in seltsamen Verkleidungen daher. In Liedern wie »Laudato si«, lustig gemeinten Anspielen, in mir fremden Liturgien und Predigten ohne Gott.

Nach einem Jahr in Indien, einem Land voller Altäre, Tempel und Gottheiten, habe ich mich zum Theologiestudium eingeschrieben. Ich wollte diesem Gott auf die Spur kommen, der mir so unvertraut vertraut war und mich nicht losgelassen hat. Ich wollte die kirchlichen Verpackungen abkratzen und zum Kern vorstoßen.

An der Uni stieß ich dann allerdings nicht auf Gott, sondern auf Dogmatik. Ich lernte, dass es nahezu unverantwortlich sei, einfach von ihm zu reden ohne jegliches biblisches und kirchengeschichtliches Wissen. Und ich verstummte verschämt.

Ich lernte, dass ich nicht einfach nur evangelisch sei, sondern lutherisch. Und dass es eine Rechtfertigungslehre gäbe, die zentral sei für meine lutherische Identität.

Über das Wort musste ich lachen. Ich lernte es abends beim Theologenstammtisch in einer Kneipe, zum Glück lernte ich da auch Pfeife rauchen.

Die Rechtfertigungslehre beschäftigte mich noch einige Jahre lang. Mein damaliger Freund studierte an der Musikhochschule Gesang, und die tägliche Begegnung mit der Welt des Schönen und Schöngeistigen machte mir deutlich, dass wir Theologen auf der anderen Seite standen. Mit meinen Natur-Boots, lila Halstuch und beschränkten musikalischen Kenntnissen fühlte ich mich wie ein Fremdkörper, quasi die personifizierte Rechtfertigungslehre. Ein Gott, der so gütig ist, auch über das Mittelmaß seine Gnade auszuschütten, schien mir damals ziemlich unattraktiv.

Was ich schon lange gesucht hatte, aber nicht wusste, dass ich es suchte, fand ich im Kreuz. Es war in einer Systematik-Vorlesung, und mir kamen die Tränen. Gott durchkreuzt die Welt und kommt mir näher, als ich es für möglich halten kann. Endlich war Gott aus seinem fernen Wolkendasein, den Kindergottesdienstliedern und weltfernen Predigten befreit, und ich hatte ein Gegenüber gefunden. Glückerfüllt rannte ich nach der Vorlesung durch den Leipziger Ehrlicherpark.

Gott war mir schon nähergekommen, aber ich konnte ihn noch nicht in mir fühlen.

Dann gab es die Stunde null in meinem Leben, ein ärztlicher Kunstfehler, der alles unter andere Vorzeichen stellte. Mehrere Wochen lag ich mit drei Frauen in einem Zimmer in der Medizinischen Hochschule. Und sie fragten mich, die kleine Theologiestudentin, wieso Gott so unbarmherzig das kleinste Glück zerstöre. Ich selbst, durch Schläuche ans Bett gefesselt, stritt mit diesem Gott, der mir so fern schien angesichts des Leids in mir und um mich herum. Und wir vier Frauen haben über ihn geredet. Nächtelang.

Und ich weiß nicht wieso, in mir wuchs ein großer Frieden mit dem, der keine Antwort gab. Im Nachtschrank lag das kleine Holzkreuz, das ich von meinem Großvater geerbt hatte, es war mit ihm in Russland und in Frankreich gewesen, als Krieg war. Oft presste ich einfach meine Finger um das Kreuz, die scharfen Kanten schnitten mir in die Haut. Etwas war gut geworden. Gott war angekommen in mir und ich in ihm. Es musste nichts beschönigt werden.

Einige Zeit später stand eine Riege von Ärzten um mein Bett, und einer meinte, dass ich wohl einen guten Draht zu dem da oben hätte. Ich schaute ihn an und wusste, dass er keine Ahnung hatte. Den bärtigen Opa auf der Wolke hatte ich lange hinter mir gelassen.

Gott kam leise, es gab keine Explosion und kein Bekehrungserlebnis. Fast unbemerkt hatte er im Krankenzimmer und in meinem Herzen Raum genommen.


Nora Steen


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