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Behinderte blieben diskriminiert


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Rolf

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Behinderte blieben diskriminiert




Der Gesetzesvorschlag der Ärzte gegen Spätabtreibungen berührt nicht den Kern des Übels

VON BERNWARD BÜCHNER

Nach jahrelangen erfolglosen Versuchen der Unionsfraktion des Bundestages haben die Bundesärztekammer (BÄK) sowie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) eine gemeinsame Gesetzesinitiative bezüglich der Spätabtreibungen gestartet. Unter dem Titel "Ein ethisches Dilemma lösen " haben wir in unserer Ausgabe vom 3. Januar hierüber berichtet. Der folgende Beitrag soll über die Gesetzeslage, welche Spätabtreibungen ermöglicht, sowie über die konkreten Vorschläge der Ärzteorganisationen informieren und diese kritisch bewerten.

Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992 sah noch eine embryopathische Indikation zum so genannten Schwangerschaftsabbruch wegen gesundheitlicher Behinderung des ungeborenen Kindes vor. Sie ermöglichte dessen Tötung "nicht rechtswidrig" innerhalb von zweiundzwanzig Woche seit der Empfängnis. Als nun das Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 eine Neurege lung des Paragrafen 218 aus anderen Gründen notwendig machte, forderten die Kirchen und Behindertenverbände, die embryopathische Indikation zu streichen.

Mit der derzeit geltenden Gesetzesfassung von 1995 wurde dieser Forderung zwar entsprochen. Gleichzeitig jedoch wurde die medizinische Indikation trotz Protesten aus dem Bereich der katholischen Kirche, beispielsweise seitens der Kardinäle Meisner und Wetter, erweiternd so formuliert, dass die Fälle der embryopathischen Indikation, wie im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erklärt, in ihr "aufgehen", von ihr "aufgefangen werden" sollen. Mit der Streichung der embryopathischen Indikation entfiel auch die insoweit obligatorisch gewesene Beratung der Schwangeren und zugleich die gesetzliche Befristung mit der Folge, dass auch die vorgeburtliche Tötung eines Kindes infolge seiner Behinderung während der gesamten Dauer der Schwangerschaft nach dem Gesetz "nicht rechtswidrig" ist.

Das bereits 1994 im Grundgesetz (Artikel 3) verankerte spezielle Diskriminierungsverbot jedoch besagt: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Die später erfolgte Erweiterung der medizinischen Indikation verstößt, soweit sie embryopathisch begründete Fälle erfasst, nach Auffassung namhafter Rechtswissenschaftler wie Christian Hillgruber, Harro Otto, Wolfgang Rüfner, Christian Starck und Herbert Tröndle gegen dieses Verbot. Sie müsste deshalb von Verfassungs wegen wieder auf eine enge, solche Fälle ausschließende, rein medizinische Indikation zurückgeführt werden.

Der Gesetzesvorschlag von BÄK und DGGG orientiert sich wie schon die Vorschläge aus der Union nicht am Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, vielmehr - durchaus verständlich - an den Sorgen und Nöten der Ärzteschaft, die nach einem Ausweg aus einer für sie schier unzumutbaren Situation sucht. Die modernen Methoden der Pränataldiagnostik ermöglichen es, genetische Defekte des Ungeborenen zu entdecken und spätere Behinderungen zu prognostizieren. Aus begründeter Furcht, infolge der Geburt eines behinderten Kindes von den Eltern auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden, neigen Ärzte häufig dazu, von den pränataldiagnostischen Möglichkeiten extensiven Gebrauch zu machen, sie Eltern geradezu aufzudrängen und so ihr Recht auf Nichtwissenwollen zu missachten. Durch eine ungünstige Prognose geraten Ärzte dann oftmals unter den Druck von Eltern, die ein Recht auf ein gesundes Kind für sich beanspruchen und selbst Behinderungen geringeren Grades nicht akzeptieren möchten.

Das Gesetz allerdings setzt für den nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft voraus, dass er "unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist", um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. Maßgebend ist danach also die ärztliche Erkenntnis, nicht das Verlangen von Eltern.

Weil sich die gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren ärztlicher Erkenntnis weitgehend entziehen, verlangt das Gesetz, indem es deren Berücksichtigung fordert, vom Arzt geradezu Unmögliches. Folge davon ist eine Praxis der weit gefassten medizinischen Indikation, die in Fällen befürchteter Behinderung vielfach einer Tötung auf Wunsch der Schwangeren gleichkommt. Um dieser gesetzwidrigen Praxis Einhalt zu gebieten, müsste das Gesetz geändert, die weit gefasste medizinische Indikation wieder auf eine rein medizinische zurückgeführt und damit dem Diskriminierungsverbot Rechnung getragen werden.

Vielfache Folge der illegalen Praxis sind die Spätabtreibungen, die nach Ablauf der zwölften Schwangerschaftswoche erfolgen. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts sind es jährlich 2000 bis 2200, rund 200 solche ab der 23. Woche, also im letzten Drittel der Schwangerschaft, in dem das Kind häufig bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist. Einzelne Mediziner schätzen die tatsächliche Zahl solcher Spätabtreibungen deutlich höher. Der Vorsitzende des Marburger Bundes Montgomery hat sie auf rund 800 jenseits der 22. Woche beziffert.

Der Anteil der embryopathisch begründeten Fälle an denen der medizinischen Indikation wird statistisch nicht gesondert erfasst. Er muss jedoch sehr hoch veranschlagt werden. Um zu verhindern, dass das Ungeborene die Abtreibung im Spätstadium der Schwangerschaft überlebt, wird es häufig noch im Mutterleib durch Fetozid getötet.

Der Gesetzesvorschlag der BÄK und der DGGG lässt zunächst einmal die weite Fassung der medizinischen Indikation (Paragraf 218a Absatz 2 Strafgesetzbuch) unverändert und würde deshalb am Skandal der diskriminierenden Tötung Ungeborener mit prognostizierter Behinderung auf Wunsch der Schwangeren nichts ändern. Diese Praxis soll nun sogar gesetzlich sanktioniert werden. Soweit keine unmittelbare Gefahr für ihr Leben besteht, soll die Frau nämlich verpflichtet werden, sich vor dem Schwangerschaftsabbruch ärztlich beraten zu lassen (Paragraf 219b Absatz 1 neu), um ihr "eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zwischen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung und dem Fortsetzen der Schwangerschaft zu ermöglichen." Diese Pflichtberatung soll ausgerechnet durch den Arzt erfolgen, der die Indikation zum Schwangerschaftsabbruch stellt (Paragraf 219a Absatz 2 neu). Der jedoch ist denkbar ungeeignet, eine Frau zur Fortsetzung einer Schwangerschaft zu ermutigen, deren Unzumutbarkeit er ihr zuvor attestiert hat.

Ist die Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten, dass die Möglichkeit extrauteriner Lebensfähigkeit des Kindes anzunehmen ist, soll der Schwangerschaftsabbruch nach dem Gesetzesvorschlag nur dann nicht rechtswidrig sein, wenn er nach ärztlicher Erkenntnis "unter Berücksichtigung des Alters des ungeborenen Kindes und seiner extrauterinen Lebensfähigkeit" wegen Gefahr für das Leben oder unzumutbarer Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren angezeigt ist (Paragraf 218a Absatz 2a neu). Dieser Vorschlag liefe auf einen abgestuften Lebensschutz je nach dem Stadium der Schwangerschaft und dem Entwicklungsstand des ungeborenen Kindes hinaus, der dem Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 widersprechen würde.

Auch in diesen Fällen, außer bei unmittelbarer Gefahr für das Leben der Frau, ist eine Pflichtberatung durch den die Indikation stellenden Arzt vorgesehen, der sich in einem unlösbaren Rollenkonflikt befände. So wäre es jedenfalls, wenn die Pflichtberatung etwas anderes sein soll als das Gespräch mit der Schwangeren, das der Stellung der Indikation "nach ärztlicher Erkenntnis" stets vorausgehen wird. Andernfalls wäre diese Beratung ohnehin überflüssig.

Würde sich der Gesetzgeber für eine Pflichtberatung entscheiden, diese jedoch beispielsweise entsprechend der Regelung von 1992 den anerkannten Beratungsstellen übertragen, blieben gravierende Bedenken bestehen. Hierdurch würde, wie die Bischöfe in Bayern im Frühjahr 2005 zu Recht angemerkt haben, das gesetzliche Beratungskonzept ausgeweitet und zugleich verfestigt, noch ehe es in Erfüllung der Beobachtungspflicht des Gesetzgebers auf seine Schutzwirkung überprüft worden ist. Vielleicht ist das gerade gewollt. Die Beratung würde zu einer weiteren Voraussetzung dafür, dass der Schwangerschaftsabbruch nach dem Gesetz "nicht rechtswidrig", also nicht lediglich straffrei ist. Ihre Bescheinigung wäre deshalb unbestreitbar eine Tötungslizenz. Sich an einer solchen Beratung zu beteiligen, wäre nicht nur für die katholische Kirche ausgeschlossen.

Ein verstärktes Angebot einer psycho-sozialen Beratung nach Vorliegen eines embryopathischen Befundes wäre dagegen sicher hilfreich. Eine solche Beratung könnte den Eltern helfen, sich auf das Leben mit einem behinderten Kind einzustellen, ihnen verständliche Ängste vor der auf sie zukommenden Aufgabe nehmen sowie ihnen konkrete Hilfen aufzeigen und vermitteln. Bereits vor einer Pränataldiagnostik könnte eine solche Beratung dem erstrebenswerten Ziel dienen, diese auf begründete Ausnahmefälle zu beschränken und dem Recht auf Nichtwissenwollen Geltung zu verschaffen.

Die Diskussion über die Spätabtreibungen geht am Kern des Übels vorbei, solange übersehen wird, dass es um die Tötung ungeborener Kinder aufgrund einer diagnostizierten Behinderung geht. Diese stellt einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung Behinderter dar, der in keinem Stadium der Schwangerschaft ethisch und rechtlich zu rechtfertigen ist. Würde dieser Diskriminierung durch Rückführung der weiten medizinischen Indikation auf eine rein medizinische ein Ende gesetzt, wäre damit zugleich berechtigten Belangen der Ärzte Rechnung getragen, etwa im Bereich des Haftungsrechts.

Der Verfasser ist Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. (Köln) und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht e. V. (Berlin).

Der Beitrag erschien in: Die Tagespost Nr. 4 v. 4. Januar 2007, Seite 9.
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