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Angst vor Gott


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Rolf

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Über die Erfahrungen eines Nordbremer Aussteigers mit der Neuapostolischen Kirche


26.03.2013






Angst vor Gott





Von Christina Denker


Stefan K. aus Bremen-Nord ist in die neuapostolische Kirche hineingeboren worden. Vor knapp 20 Jahren hat er mit der Religionsgemeinschaft gebrochen. Das hat er mit dem Verlust seiner Familie bezahlt. Trotzdem ist diese Abkehr für ihn ein Befreiungsschlag gewesen.

Bremen-Nord. Der Gott, den Stefan K. (Name geändert) kennengelernt hatte, ist ein Gott, der Bedingungen stellt. Ein Gott zum Fürchten. Und gefürchtet hat sich Stefan K. immer. Schon als Kind. Der Nordbremer hatte Angst davor, nicht in den Himmel zu kommen, sondern in der Hölle zu landen. Ohne ein Jüngstes Gericht, ganz alleine – ohne die Familie, ohne Freunde. Der Gott, der Stefan K.’s Gott war, ist der Gott der Neuapostolischen Kirche.

Lange schon ist Stefan K. kein Auserwählter mehr, kein "Erstling", wie die Neuapostolen sich nennen. Vor fast 20 Jahren hat er der Kirche den Rücken gekehrt. Ganz sicher aber ist Stefan K. nach seinem Austritt ein Mensch, der lernen musste, in der Welt zurechtzukommen, ohne eine Glaubensgemeinschaft, in die er hineingeboren wurde – und die stets darüber habe entscheiden wollen, wie ein Lebens gelebt werden müsse. Diese Entscheidung hat Stefan K. mit dem Verlust seiner Familie bezahlt. Doch eigentlich war es ein Befreiungsschlag.

Stefan K. ist über den Kontaktabbruch immer noch "heilfroh", wie er sagt. Jahrzehntelang hatte er sein Leben vor den Eltern – sein Vater war Gemeindevorsteher – und vor seiner Gemeinde verteidigen müssen. Vor einer Kontaktaufnahme, der Vater ist schon lange tot, scheut er zurück. "Meine Mutter und meine Schwester glauben nach wie vor fest daran, dass ich ohne Umwege in die Hölle kommen werde.

"Durch ihre Angst machende, rigide Auffassung, die allein selig machende Vereinigung zu sein, herrscht nach Innen hin ein großer Druck, der durch Verdammungsandrohungen verstärkt wird", beschreibt der Fuldaer Sektenbeauftragte und Pfarrer Ferdinand Rauch die Praktiken der Neuapostolischen Kirche.

Und genau das hat Stefan K. erlebt. Krankheit, Unglück, Unfall – wie auch immer die Hölle heute definiert wird – dauernd ist Stefan K. mit ihr gedroht worden. Auch unterschwellig: "Hast du Gott denn nicht mehr lieb? Wie oft ihm diese Frage gestellt wurde, kann Stefan K. gar nicht zählen. Solche Drohungen habe es viele gegeben. Für vermeintlich falsche Gedanken. Für Zweifel am neuapostolischen Glauben. Für die Wünsche des später jungen Mannes, so leben zu können wie "Weltmenschen" auch. Ins Kino zu gehen etwa oder in die Disco.

Oder ein Bierchen zu trinken. Was für sich genommen schon schwierig war, denn man blieb ja unter sich. Stefan K. sagt heute: "Ich habe große Teile meines Lebens verpasst". Bis heute, meint er, schirmen die Neuapostolen ihr Innenleben ab. In der Schule war Stefan K. ein Außenseiter – und schämte sich, nicht so zu sein wie die anderen. Dafür sei er aber etwas Besseres als die "Weltmenschen", so sei es ihm von seiner Kirche eingeredet worden. Ein Gotteskind eben. Eines, das zum Herrn geholt wird, wenn die Tage der Menschen gezählt sind.

Rund 3000 neuapostolische Gemeinden gibt es in Deutschland, in Bremen-Nord sind es drei. Um die 500 Gläubige verteilen sich nach Angaben des Bezirksvorstehers Jürgen Babbel auf die Gemeinden Ritterhude, Vegesack und Lüssum. Die Anhänger der streng hierarchisch gegliederten Religionsgemeinschaft glauben an die Wiederankunft Christi in naher Zukunft – und daran, dass der Erlöser sie, und nur sie in sein Reich führt.

Obwohl Stefan K. vor fast 20 Jahren den Neuapostolen abgeschworen hat, bleibt die Kirche, deren Glaubenssätze er quasi mit der Muttermilch aufgesogen hatte, eines seiner Lebensthemen. Wenn nicht das Lebensthema überhaupt. Überall laufen sie ihm über den Weg, die Erinnerungen an den Angst machenden Gott. Dazu braucht es etwa nur etwas so Profanes wie etwa einen James-Bond-Film. Stefan K.s erster Kinobesuch, natürlich heimlich. Da war er 13 Jahre alt. Noch heute kann er sich daran gut erinnern, wie er im Kinosessel saß, voller Panik aufsprang und nach Hause lief: Was ist, wenn Christus gerade jetzt kommt und seine Familie zu sich holt, während er Verbotenes tut und allein zurück bleiben muss? "Voller Furcht", erzählt Stefan K. "habe ich dann erst einmal zu Hause angerufen. Alle waren natürlich noch da".

Oder obskure Geschichten, die ihm erzählt wurden. Das waren Geschichten von heimatlosen, nicht-apostolischen Seelen. "Bis ins Jugendalter konnte ich nur bei Licht einschlafen", schildert Stefan K.. Seine Mutter will solche Seelen gesehen haben. In besonderen Gottesdiensten werden diese posthum zu Neuapostolen gemacht. Die Gläubigen nennen das "Entschlafenenwesen".

Gegen solche Überzeugungen seines Elternhauses opponierte Stefan K. immer mehr. Gleichzeitig mehrten sich seine Zweifel am Glauben. Irgendwann stellte er sich zum ersten Mal die Frage: "Was ist, wenn das alles nicht stimmt?" Da war der Nordbremer 30 Jahre alt. Stefan K. hat sich getraut und versucht, Antworten zu finden. "Ich ging in die Bibliothek. Aber ich fühlte mich schlecht", erinnert er sich. Dort, inmitten der Bücher, entdeckte er "wie ein Kleinkind"die Welt der Religion.

Im Laufe der Jahre hat Stefan K. damit begonnen, den Druck mit Bier und Schnaps zu betäuben. Er wurde Alkoholiker. Zehn Jahre lang hat er "gesoffen", wie Stefan K. sagt, in den letzten Jahren neben dem vielen Bier auch eine Flasche Schnaps pro Tag. "Ich habe mich in den Alkohol geflüchtet, weil ich nicht den Mut hatte, weil ich nicht konfliktfähig war und keinerlei Handwerkszeug hatte, die Probleme zu lösen", sagt er, "woher denn auch?" Die neuapostolische Kirche sei eben eine Kirche des Schweigens.

Nur durch den Alkohol, sagt Stefan K., habe er den Ausstieg geschafft. Das klinge paradox, aber die Sucht habe ihn letztendlich dorthin geführt, wo er Hilfe bekam: In eine Klinik. Im Laufe der folgenden Jahre hat Stefan K. nach und nach zu sich selber gefunden. Und auch die lange Zeit, in der Gott für ihn quasi tot war, ist vorbei: Stefan K. ist heute evangelisch. Und es treibt ihm immer noch Tränen in die Augen, dass sein neuer Gott ihn liebt – egal, was er tut und denkt – und ob er überhaupt an ihn glaubt.

"Die Neuapostolische Kirche ist eine Sekte", betont Stefan K.. "Sie ist autoritär, Kritik wird nicht geduldet". Fast zwei Jahrzehnte ist sein Ausstieg aus der Religionsgemeinschaft nun her. Die Vergangenheit wirft allerdings lange Schatten auf sein heutiges Leben: Gerade hat er wieder eine E-Mail bekommen. "Du lügst und schreibst nur Müll, kein Wunder, dass du Alkoholiker geworden bist. Wer sich dem Herzen der Apostel und seiner Vorsteher öffnet, der erkennt, wo die ewige Herrlichkeit liegt. Du jedenfalls wirst in der Hölle landen", steht darin geschrieben.

Seinen Namen hat der Verfasser allerdings nicht genannt. Stefan K. ist das egal. Er hat gelernt, damit umzugehen.



Über die Erfahrungen eines Nordbremer Aussteigers mit der Neuapostolischen Kirche

Zitat:

"Ich habe

große Teile meines

Lebens verpasst"

Stefan K., Ex-Neuapostole


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