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Der angedichtete Griff zur Macht


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Rolf

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Der angedichtete Griff zur Macht






Zum Kommentar von Thomas Schirrmacher v. 3. 1. März 2012



von Gottfried Meskemper



Zu Martin Erdmanns neuem Buch „Der Griff zur Macht: Dominionismus – der evangelikale Weg zu globalem Einfluss“
Die Gesellschaft christlich prägen zu wollen, ist der Fehler schlechthin


Der Artikel von Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher in „Bibel und Gemeinde“ steht seit März 2012 auf dessen Hompage.



Schirrmacher begeht gleich im ersten Satz seines kritischen Kommentars einen grundlegenden Fehler. Er verwechselt ein „christliches Prägen der Gesellschaft“ mit den Bemühungen der Weltweiten Evangelischen Allianz, im Schulterschluss mit den dominierenden Gruppen in Politik und Wirtschaft einer Vorherrschaft dieser Gruppen zum „Endsieg“ zu verhelfen. In den vielen Kapiteln des Buches dürfte jedem aufmerksamem Leser klar werden, wie dieser Feldzug geplant ist, in dem am Ende die Evangelikalen nicht dominieren werden, sondern der Dominanz der anderen zum Sieg verhelfen sollen. Die Evangelikalen sind – zusammen mit den Kirchen – das größte Netzwerk, das auf der Erde existiert. Über dieses Netzwerk soll die Idee des „Dreibeinigen Stuhls“ von Peter S. Drucker durchgesetzt werden. Entweder hat Schirrmacher diese Strategie nicht durchschaut, oder er streut bewusst irreführende Gedanken und Vorwürfe in die Debatte. Selbst dem euphorischten Evangelikalen muss bewusst werden, dass – käme der Plan zum Zuge – nicht eine evangelikale Dominanz entstehen würde, sondern die von Politik und Wirtschaft angestrebte, die Evangelikalen also nur „willige Helfer“ zur Durchsetzung dieses Ziels wären. Ich vermute, Dr. Erdmann hat nicht gewagt, den letzten, nahe liegenden Schluss aus seinen Recherchen und Analysen zu ziehen.



Gerade Schirrmacher erweckt den Eindruck, eine Verkörperung der Idee des Dominionismus zu sein. Auf seiner hompage zeigt er sich täglich neu mit bekannten politischen Persönlichkeiten und gibt sich staatsmännisch. Und wie er deren Vorstellungen entgegenkommt, wurde in dem unter seiner Federführung entstandenen „Ethik-Kodex für Evangelisation“ deutlich. Es dürfe keine, durch Begleitmaßnahmen flankierte Evangelisation geben, selbst medizinische Hilfe müsse absichtsfrei geleistet werden. Dieses Paper kann sich auf Dauer nur als Maulkorb erweisen. Es findet dadurch ein Wechsel von der Dominanz des Evangeliums zur Dominanz des sozialen Engagements statt, ganz im Sinne des von Harold J. Ockenga initiierten Neoevangelikalismus. In den USA läuft diese Kampagne schon seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Wir in Europa und besonderes in Deutschland wussten bisher von dieser Strategie wenig. Deshalb fällt es Schirrmacher und anderen auch leicht, mit einer unwirschen Handbewegung dies brisante Thema vom Tisch zu wischen. Bei einem Anruf in anderem Zusammenhang war Thomas in Zeitnot, er musste eilig zum Flugplatz, weil er nach Damaskus fliegen musste, um mit Assad zu konferieren. Aber er war und ist nicht der Einzige, auch Rick Warren führte – im Auftrag der US-Regierung – Gespräche mit Assad.



Oder denken wir an die Ereignisse um den 11. September 2001. Am 13.11.2001 fand ein nationaler Gedenkgottesdienst in der National Kathedrale in Washington statt, bei der – in Anwesenheit von Präsident Bush und hochrangigen Politikern, Wirtschaftsführern und Vertretern aller Religionen – Billy Graham eine Andacht hielt, in der er den Präsidenten ermunterte, „mit dem neuen Geist Amerikas die Attentäter zu finden und einer gerechten Strafe zuzuführen“. Aber die Attacke auf das World Trade – Center war ein willkommener Anlass, den Irak-Krieg zu beginnen – ähnlich dem nicht verhinderten Angriff japanischer Kamikaze-Flieger auf Hawai als Auslöser für die Kriegserklärung der USA an Japan im II. Weltkrieg. Der Außenminister Powell entschuldigte sich später vor dem amerikanischen Kongress-Ausschuss dafür, auf irreführende Informationen über Saddam Husseins angeblichen kriegerische Absichten hereingefallen zu sein. Er habe sich angeblich aus Nigeria Uran beschafft und in mobilen Anlagen Vorbereitungen zum Bau einer Atombombe betrieben. Nach dem Ende des Irak-Krieges III wurde allgemein bekannt, dass Saddam Hussein keine Atombomben zu bauen gedachte.



Ein bekannter charismatisch-evangelikaler Journalist, der in den USA promovierte, erläuterte mir in einem persönlichen Gespräch seine Vorstellungen von der evangelikalen Beteiligung an der Politik. Während seines Aufenthalts in Washington sei der Wahlkampf zwischen Bill Clinton und George W. Bush gelaufen. Die etwa 20.000 Evangelikalen in Washington hätten alle Freunde und Bekannten angerufen, um sie zu bewegen, für Bush und die Republikaner zu votieren. Das Hauptargument waren die Sexhandlungen im Oval Office zwischen Präsident Clinton und Praktikantin Monika Levinski. Ich sagte ihm, dass das „Bumsen im Oval Office“ nur abgelöst worden sei durch „Bomben auf Bagdad“, was er denn nun als schlimmer ansehen würde? Verlegenheit.



Der Dominionismus ist in vollem Gange! Aber diese Strategie muss immer – wenn sie bemerkt und die Einsicht darin verbreitet wird – heftig zurückgewiesen werden. Und immer wieder trommelt die DEA: „Christen in die Politik!“ Und wenn sie in der Politik zuhause sind, besorgen sie oft genug das Geschäft der Gegenseite (s. Frank Heinrich und seine Aktivität in der „pressur group“ zur steuerlichen Gleichstellung von Schwulen mit richtigen Ehepaaren – natürlich ist er „an sich gegen die Homosexualität“ aber er unterstützt sie wirtschaftlich, was nützen da alle Vorbehalte?). Beim Beschluss der EKD-Synode 2011, gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Pfarrhaus zuzulassen, stimmten auch alle evangelikalen Delegierten dafür. Aber von dem allen bemerkt Schirrmacher anscheinend nichts. Er ist viel zu sehr mit seiner Imagepflege beschäftigt.



Schirrmacher meinte: „Die Wirklichkeit, die sich in der weltweiten Religionsstatistik niederschlägt, ist eine andere.“ Wirklich? Woher kommen denn die großen Zahlen? Meint er vielleicht China, wo es nicht westliche Missionar sind, durch die Menschen zum Glauben an Jesus kommen, sondern dort ist die Mission ein „Selbstläufer“, der Funke springt von einer Hausgemeinde zur anderen über. Wer selber an Mission „nahe dran ist“, hört im Umfeld seiner verschiedenen Missionsgesellschaften wenig von spektakulären Zahlen. Sollte es die großen Zahlen wirklich geben, so kann sich die WEA sie nicht auf ihr Konto schreiben. Und umgekehrt wissen die dort erreichten Menschen nichts von den politischen Bemühungen der WEA.



Schirrmacher beruft sich auf Wilberforce und Wesley in ihrem Kampf gegen die Sklaverei, die durch Auftritte ihrer Anhänger im Britischen Parlament für die Abschaffung sorgten. Aber die heutigen Auftritte von Evangelikalen im politischen Raum finden entweder keine Beachtung – wie bei den Abtreibungsgegnern – oder unsere Leute in den Parlamenten befinden sich in unschöner Übereinstimmung mit dem Mainstream – s. Frank Heinrich bei der steuerlichen Gleichbehandlung von Homosexuellen mit normalen Ehen. Zwischen den Auftritten von Wilberforce und dem, was wir heute erleben, liegen Welten. Wo „hauen“ die DEA-Leute so „auf die Pauke“, dass sie Ärger stiften?



Er nimmt den Einsatz gegen Armut für die Evangelische Allianz in Anspruch, obwohl fast alle Missionsgesellschaften in den Entwicklungsländern wie selbstverständlich zu ihrer Verkündigung diakonische Hilfe leisten. Die Art der Erwähnung des Einsatzes gegen Armut erweckt den falschen Eindruck, als würde erst durch die Evangelische Allianz das Bewusstsein für die Nöte in den Missionsgebieten geweckt. Aber es ist ja etwas ganz anderes eingetreten, mit der Micha-Initiative soll ganz allgemein, unabhängig vom missionarischen Einsatz, soziale Hilfe geleistet werden, und damit sind wir wieder beim Dominionismus. Man tut sich etwas darauf zugute, im Gleichschritt mit dem Milleniums-Projekt zu agieren. Bis 2015 sollte der Hunger für die Hälfte der Betroffenen Vergangenheit sein. Inzwischen sind durch kriegerische Handlungen im Sudan und Somalia weitere Hunderttausende dem Hungertod preisgegeben. Und fast jeden Tag melden die Medien, dass durch weltweite Bodenspekulationen von den Investmentgesellschaften eine Verteuerung der Grundnahrungsmittel angestrebt wird – so erste heute 25.8.2012 wieder im WESER-KURIER – als neuer lukrativer Markt nach dem Platzen der Immobilienblase und der Finanzkrise. Statt den Hunger zu bekämpfen, geraten immer neue Bevölkerungsgruppen in Not und Elend. Das Micha-Projekt kann nur als große Illusion bezeichnet werden. Welchem Zweck dient es in Wahrheit?



Schirrmacher erwähnt auch nicht, dass die heute üblichen „Evangelisationsmethoden“ und die Gemeindearbeit unnötig viel Geld verschlingen. Therapeutische Seelsorgen, Events und Kongresse benötigen Unsummen, und von der jungen Generation hört man aus dem Munde von ebenso modernen evangelikalen Führern, dass sie sich nicht langfristig festlegen, sondern bestenfalls kurzzeitig Projekte unterstützen. Und meine eigenen Nachfragen bei Leitern von Gemeinden, die die „moderne“ Gemeindearbeit betreiben, ergab, dass die Jungen kaum für eine engagierte Arbeit zu gewinnen sind. Von dem allem liest man bei Schirrmacher nichts, ihm geht es anscheinend nur darum, Dr. Erdmanns Arbeit kleinzureden.



Und in unserem Lande kann man ja unmittelbar beobachten, was noch an Mission läuft. Die „Zeugnisse“ nach den im Dreijahresrhythmus stattfindenden ProChrist-Veranstaltungen lauten: „Ich bin nicht mehr einsam“, „ich kann jetzt öffentlich besser reden“, „ich habe zu mir selbst gefunden“ u.ä.m. Nichts hört man davon, dass man unter den Predigten und anderen Beiträgen als Sünder entlarvt wurde. Und Legion sind die Folgeprogramme: Alpha-Bibelkurs, Biblisch-therapeutische Seelsorgen, Frauenfrühstück, Frühschoppen für Männer, Ferienprogramme, Promise Keeper u.v.a.m. Es hat sich inzwischen der Eindruck verfestigt, dass es nach dem „Nach-vorne-Gehen“ intensivster Behandlung bedarf, um aus dem „Bekehrten“ endlich einen richtigen Christen zu machen. Als ein vor Jahrzehnten Bekehrter gewinnt man den Eindruck: „Wenn das Christsein sein soll, dann nein danke.“ Es gibt inzwischen auch in vielen Gemeinden keine geistliche Atmosphäre mehr. Mit einem – im Buch von Erdmann – Change-Management genannten Umgang mit der Gemeinde werden sie bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die älteren Geschwister stehen ratlos vor wild gewordenen Predigern und „ihrer Jugend“. Die bisher die Gemeinde tragende Generation wird ständig zum Spenden aufgefordert und die „Jugend“ versammelt sich am Sonntag nach dem Gottesdienst zum „Gottesdienst“, „wenn die Alten gegangen sind“. Wieso spricht man dann noch von „Gemeinde“? Spenden heißt das große Thema! Mit allen möglichen Argumenten wird den traditionellen Spendern zugesetzt, es ist immer zu wenig, „spendet, spendet!“ Man treibt Spenden ein, indem man ein schlechtes Gewissen macht, daher wird oft nicht aus Liebe zu unserem HErrn gespendet. Das erinnert mehr an die katholische „Werkgerechtigkeit“, als ans Evangelium.



Durch die „Bands“ wird statt Musik Radau gemacht. Wichtig scheint nicht das Evangelium zu sein, sondern die Selbstdarstellung. Transformation heißt die Strategie, Change-Management für die Gemeinde, Transformation für die Gemeindeglieder. Am Anfang steht die Verflüssigung, d.h. die Auflösung des Bekannten mit eben schon den genannten Methoden: „Musik“ aus „Workshops“, Anspiele und Events. Da gibt es eine „ultimative-Jesus-eNight“. Selbstdarstellung ist die Taktik, mit der die Gemeinde „verändert“ – richtiger zerstört – wird. Als wir zum Glauben fanden, sang der Chor auf der Empore und war von der Gemeinde gar nicht zu sehen. Es ging ums Hören. Heute ist das Wichtigste, dass man zu sehen ist, möglichst das Mikrophon wie einen Dauerlutscher vor dem Gesicht. Es gibt sie noch, die traditionelle Predigt, aber man fragt sich, was die in diesem Showgeschäft noch zu suchen hat.



Aber von diesem allen weiß wahrscheinlich Thomas Schirrmacher nichts. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich mir mit meiner skeptischen Einstellung gegen die in die Gemeinden eindringenden Amerikanismen ihm gegenüber sehr laienhaft vorkam. Ich war mit der gleichen Einstellung wie heute ihm gegenüber damals ein „Waisenknabe“. Er war ein Frontkämpfer für die überkommene Evangelisations- und Gemeindearbeit. Heute erkenne ich ihn gar nicht mehr wieder. In einem Brief an den Evangelisten Albert Janssen v. 8.4.2003 erklärte er: „…in Deinem letzten Brief hast Du damit gedroht, dass Du öffentlich machen wirst, dass ich von meiner früheren klaren Haltung abgefallen bin. Ich habe Dir daraufhin klar mitgeteilt, dass Deine Einschätzung der Lage stimmt und ich nicht mehr zu meinen früheren Verurteilungen stehe.“ Gegner sind ihm jetzt offenbar die Freunde von einst.



Unter Grundlage 1: das traditionelle Christentum konstruiert dann Schirrmacher einen künstlichen Gegensatz zwischen dem überkommenen Verständnis von Evangelium und Gemeinde und Dr. Erdmanns Einschätzung. Er führt die Seiten 28–31 an und schließt mit der Bemerkung, dass man nach Kenntnis dieser Seiten das Buch getrost aus der Hand legen kann, das soll wohl heißen: „Kauft es gar nicht erst!“



Man muss nicht über Erdmanns Gemeindeverständnis philosophieren, denn es geht um die Transformation des gesamten evangelikalen Lagers in Deutschland und weltweit. Aber wenn Schirrmacher schon meint, das „unsichtbare Reich Gottes“ gegen Erdmann ins Feld führen zu müssen, dann sollte er nicht versuchen, dies mit dem Verweis auf den darbystischen Dispensationalismus tun, sondern so ehrlich sein, dass schon Luther vom „unsichtbaren Reich Gottes“ gesprochen hat und dass auch manch andere geistlich gesonnene Persönlichkeiten die gleiche Meinung vertreten. Auslöser ist ja die in jeder Kirche oder Gemeinschaft sich bald herausstellende Erkenntnis, dass die eigene Gruppierung als Ganzes nicht mit dem „Reich Gottes“ gleichgesetzt werden kann. Luther sprach von der „ecclesiola in ecclesia“, vom „Kirchlein in der Kirche“. Nur die Katholische Kirche erklärt unbekümmert alle Getauften zu wahren Christen. Der Vollzug des Sakraments garantiert für sie die – fast – unkündbare Zugehörigkeit zur Kirche. Etwa noch vorhandene Unklarheiten werden im Fegefeuer geklärt, aber am Status des Christseins wird nicht gerüttelt. Dies alles vermisst man bei Schirrmacher und man kommt dabei nicht auf den Gedanken, es könnte die Folge von Nichtwissen sein bei einem Mann, der jeden Tag ein Buch liest. Warum also solche Irreführungen?



Ob es nun ein „allen gemeinsames Reich-Gottes-Verständnis“ gegeben hat, muss ebenfalls nicht diskutiert werden, das ist ein reines Ablenkungsmanöver. Wir waren uns im evangelikalen weitestgehend einig bei der Einschätzung, das „eigentliche Reich Gottes ist unsichtbar“. Die Infragestellung gehört mit zu den Verflüssigungstendenzen Peter Wagners. Als weitere Ablenkung „übermittelt uns die Offenbarung eine enorme Breite und Vielfalt“. Damit sind wir dann ja nicht weit von einer christlichen Oekumene entfernt, für die Schirrmacher ja ohnehin mit seinem „Ethik-Kodex für Evangelisation“ steht.



Schirrmacher versucht, die Diskussion in die Vergangenheit zu verlegen, indem er Calvin, Bucer oder Wesley anführt, anstatt auf die aktuelle Situation einzugehen, in der Namen wie Peter S. Drucker, Harold J. Ockenga, Bill Hybels, Rick Warren, Billy Graham, Bill Bright, McGavran u.v.a. die entscheidende Rolle spielen. Er erwähnt auch nicht, dass Luther strikt auf die Trennung von „Reich Gottes“ und „Reich der Welt“ durch die „Zwei-Reiche-Lehre“ achtete.



In „Grundlage 2: Dominionismus“ nimmt Schirrmacher den Begriff unter die Lupe, als ob durch die Bestreitung des hier weitgehend unbekannten Wortes die Sache selbst schon aus der Welt wäre. Ein mexikanischer Präsident witzelte einmal über „God‘s own land“: „So weit weg von Gott und so nahe bei Amerika.“ Schirrmacher hofft wohl, dass deutsche Evangelikale nichts vom übersteigerten Selbstverständnis US-amerikanischer „Evangelicals“ wissen. Aber er spekuliert – wie viele Evangelikale hierzulande – mit dem Gedanken: Endlich aus der religiösen Schmuddelecke herauszukommen und öffentliche Bedeutung zu erlangen. Die permanente Erwähnung erfolgreicher Evangelikaler aus Politik, Wirtschafte, Wissenschaft und Kunst in den evangelikalen Medien soll dem angeschlagenen Selbstwertgefühl auf die Beine helfen: „Wir haben auch …!“



Aber er vergisst zu erwähnen, dass es die Rockefellers waren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts große Summen in das Change-Management der Evangelikalen steckten, um sie von der Selbstbeschäftigung mit Fragen der Bibelentstehung – heute verurteilend auch in Deutschland Fundamentalismus genannt – auf eine politisch verwertbare Haltung umzufunktionieren. Ich erinnere mich noch gut an das Engagement der Osteuropa-Mission, die nach dem II. Weltkrieg in Belgien und Deutschland Zentren aufbaute, um mit dem Evangelium ein Gegengewicht gegen den Kommunismus zu schaffen. Damit soll die missionarische Arbeit nicht geschmälert, sondern auf die Doppelstrategie aufmerksam gemacht werden.



Ich selber war Mitbegründer einiger Gideongruppen und erinnere mich der Startsituation in Bremen. Ein älterer Opernsänger, Dick Holzwart, lud uns ein und erklärte uns die Absicht und die Arbeitsweise der Gideons. Wir brauchten nur die Bibeln und Neuen Testamente zu verteilen, das Geld für die in den USA gedruckten Ausgaben käme dort zusammen. Nach einem Jahr las ich eine kleine Notiz im Weser-Kurier, dass der Rechnungshof des US-Finanzministeriums dahinter gekommen sei, dass die US-Army Gelder an Missionsgesellschaften gebe, um missionarische Arbeit in kommunistischen Ländern als Gegengewicht zum Kommunismus zu unterstützen. Kurz darauf erhielten wir die Mitteilung, dass die Spenden in den USA leider zurückgegangen seien und wir jetzt selber verstärkt für die Verbreitung der Bibeln sammeln müssten. Zufall?



Schirrmacher meint wohl, wenn er den hierzulande weitgehend unbekannten Begriff attackiert, damit auch die Sache aus dem Blickfeld rücken zu können. Natürlich ist es völlig illusorisch, von einer Dominanz der Evangelikalen sprechen oder auch nur daran denken zu wollen. Aber sollen denn die Hauptakteure öffentlich erklären: „Wir wollen ab jetzt Handlanger der amerikanischen Geschäfts-missionsbewegung sein.“ Leute wie Rick Waren geben doch den Ton an, wenn sie erklären: „Ich werde 2 Mrd. Christen in Marsch setzen um den Hunger in der Welt bis 2015 zu halbieren.“ Als ich das das erste Mal hörte, dachte ich nur, „der Mann ist doch nicht ganz richtig im Kopf“. Und dennoch sind Evangelikale hierzulande von ihm begeistert, und selbst nichtchristliche Teilnehmer des jährlichen Weltwirtschaftsgipfels in Davos sind angetan von seinem Charisma, wie es heißt. Also lohnt es sich doch wohl, näher hinzusehen, um herauszufinden, welches Spiel man mit uns treibt. Schirrmacher schreibt dagegen:

Mir ist keine einzige evangelikale Führungspersönlichkeit bekannt, die vertritt, wir sollten, dürften oder müssten „das Schwert“ gegen Nichtchristen „ergreifen“, die „Strafjustiz“ gegen Feinde des Christentums einsetzen oder dass alle Menschen in die Kirche „gezwungen“ werden müssten.

Als der Irakkrieg auf dem Höhepunkt war, haben deutsche TV-Reporter im Bibel-belt eine Umfrage gestartet und bekamen vielfach als Antwort: „Oh, das ist doch gar nicht so schlecht, dadurch wird die Ausbreitung des Islam verhindert.“ Anderes zum 11. September 2001, Billy Graham betreffend, habe ich bereit notiert (s. o.). Warum kommen aus Amerika Parolen wie „Weltweiter Evangeliums-Kreuzzug“, muss das nicht latent eine Kreuzzugsmentalität hervorbringen? Wer hat daran Interesse? Bis vor wenigen Jahren wurden wir durch das amerikanische Erfolgs-Evangelium immer neu in schreckhaftes Erstaunen versetzt. Das Leitmotiv aus dem reformierten Lager lautete: „Wenn du richtig glaubst, segnet dich Gott und du wirst Erfolg haben.“ Diese, als Ideologie missbrauchte Segenszusage Gottes wurde jahrelang nach innen gekehrt, d.h. auf das Wohlergehen des Einzelnen bezogen. Anscheinend wird der Handschuh jetzt nach außen gestülpt, es geht um den Erfolg über die anderen. Beim Führungskongress 2006 in Bremen beklagte sich Bill Hybels, dass der neben ihm stehende Rick Warren 45 Mio. seiner Visions-Bücher abgesetzt habe, während er auf seinen Büchern weitgehend sitzen bleibe. Ist dieses Erfolgsdenken so sehr weit von einer Zusammenarbeit mit politischen und wirtschaftlichen Gruppen entfernt? Gewiss werden die evangelikalen Potetentaten nicht zu den Waffen rufen, aber wenn sie – wie die Kirchen im I. und II. Weltkrieg Kaiser und Führer – „demokratische“ Präsidenten beim Waffengang bestärken, reicht das doch völlig. Ihnen fällt dann die Aufgabe zu, die Bevölkerung ruhig zu stellen. Erdmann hat in seinem Buch genügend Belege für die falsche Koalition aufgeführt. Man sollte das Buch unbedingt kaufen, um sich kundig zu machen.

Diesen Dominionismus gibt es doch, auch wenn Schirrmacher behauptet: „Diesen Dominionismus gibt es nicht.“ Wahrscheinlich möchte er die Zusammenhänge, die Dr. Erdmann aufzeigt, vergessen machen. Wenn er solche Sätze schreibt, könnte man fast annehmen, dass er das Buch gar nicht gelesen hat. Es geht um das Netzwerk, das über einen langen Zeitraum zwischen den verschiedenen Werken, Gruppen und Verbänden aufgebaut wurde. Hat sich bisher niemand darüber Gedanken gemacht, warum jedes Jahr ein oder mehrere Führungskongresse initiiert werden? Da werden hochfliegende Ziele angesteuert. Tausende von Gemeindeleitern und Leitern freier Werke genießen dort dieses „Wir-sind-wer“-Gefühl. Und zuhause plappern sie die Parolen, die dort ausgegeben werden, unkritisch nach. Jeder Evangelikale kann es in seiner Gemeinde oder in der Nachbargemeinde nachprüfen.

Da findet eine Christival-Veranstaltung statt, zu der einige Tausend aus ganz Deutschland anreisen, und der Verantwortliche im Zeitungs-Interview sagt, das sei der „Auftakt zum Kirchentag“ im nächsten Jahr. Hier wird die Liaison mit denen beschworen, die mit dem Evangelium nichts am Hut haben. Wozu also diese Einheitsideologie, wenn das Ganze nicht einem „größeren Ziel“ dienen soll? Haben sich die Verantwortlichen je überlegt, dass sie in die Fußtapfen der immer mehr verdunstenden Kirchen treten und das gleiche Schicksal erleiden werden? Für eine Übergangsphase werden sie noch gebraucht und glauben deshalb, weltweite Bedeutung zu erlangen.

Worin besteht nun der „moderne Dominionismus“? Es geht um eine zeitangepasste Reakti-vierung des „Constantinischen Prinzips“ Erdmann macht 3 Aspekte aus (GzM S. 29):

1. Satan nahm nach dem Sündenfall widerrechtlich die herrschaftliche Stellung über die Welt ein, die eigentlich dem Menschen vorbehalten war.

2. Die Kirche ist Gottes Instrument, Satan die Herrschaft wieder abzunehmen. (Anm. vgl. 1000jähr. Reich Augustinus)

3. Die Wiederkunft Jesu wird solange hinausgezögert, bis die Kirche die Herrschaft über alle staatlichen und sozialen Institutionen der Welt errungen hat. (Anm. Das erinnert an Dostojewskis Novelle vom „Großinquisitor“ in seinem Roman ‚Die Brüder Karamasow’ u. das Assisi-Gebet) (Einleitung und Abschrift G. Meskemper)

Ist das alles nicht schon deshalb „heiße Luft“, weil Schirrmacher seine Reputation als internationaler Professor in die Waagschale wirft, oder ist doch was dran an Dr. Erdmanns Recherchen zum Dominionismus? So ganz ohne Grund wird Ulrich Parcany im idea-Interview v. 2.5.2012 nicht so geantwortet haben, wie nachstehend zu lesen ist:

Subject: ideaNews: "Evangelisation" statt "Gesellschaftstransformation" 02.05.2012

Warum kommt Mission so mühsam voran?
Wetzlar (idea) – Evangelisation kommt in Deutschland nur mühsam voran, obwohl sie sich die EKD seit der Leipziger „Missionssynode“ im Jahr 1999 auf die Fahne geschrieben hat. Woran liegt das? Dieser Frage geht der Leiter der größten Missionsaktion in Europa „ProChrist“, Pfarrer Ulrich Parzany (Kassel), in einem Beitrag für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) nach.

„Ich habe einen Verdacht: Die Begriffe Mission und Evangelisation werden inzwischen so weit gefasst, dass alles darunter fällt, was in der Kirche sowieso schon geschieht“, schreibt er. Tatsächlich böten Gottesdienste, Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Gemeindeveranstaltungen großartige Möglichkeiten – „wenn in ihnen die Einladung zum Glauben an Jesus Christus tatsächlich zur Sprache kommt“. Doch obwohl es sich der Bibel zufolge letztlich um eine Frage von „Leben und Tod“ handele, sei dies nicht immer gewährleistet, bedauert Parzany. In der evangelischen Diakonie und der katholischen Caritas arbeiteten über 950.000 Angestellte – also mehr als in der Automobilindustrie; und doch gebe es „nur eine Handvoll hauptamtliche Evangelisten“ in den landeskirchlichen Missionarischen Diensten. Parzany: „Weil ja alles in der Kirche ‚Mission’ ist, hat man die speziellen Dienste der Evangelisten schlicht abgeschafft. Wie tragisch!“

Kritik: „Transformation“ statt „Evangelisation“

Einen Mangel an evangelistischer Verkündigung macht der ProChrist-Leiter aber nicht nur in der Volkskirche aus; auch in den Freikirchen und pietistischen Gemeinschaften werde sie zunehmend vom Begriff „Gesellschaftstransformation“ abgelöst: Christen versuchen, dem Evangelium zum Durchbruch zu verhelfen, indem sie die Gesellschaft verändern. Parzany lehnt dieses Bemühen nicht rundweg ab, kritisiert aber die Zielvorstellung: „Wer meint, er würde durch diakonisches und politisches Handeln Relevanz in der Gesellschaft gewinnen und könnte dadurch dem Evangelium mehr Gehör verschaffen, der täuscht sich!“ Bei allen positiven Veränderungen, die aufgrund der Bekehrung Einzelner und des vorbildhaften Lebens der Gemeinden möglich seien, habe sich Gott die endgültige Transformation der Gesellschaft vorbehalten – „durch die Auferweckung der Toten, das Weltgericht und die Schaffung des neuen Himmels und der neuen Erde“. Darauf vertrauten Christen; sie handelten nicht aus der Vermessenheit heraus, dass sie das selbst schaffen könnten.



Ohne Christus in Ewigkeit verloren

Nach Parzanys Auffassung mangelt es den Christen zurzeit am Bewusstsein „über die Dramatik, dass alle Menschen ohne Jesus Christus in Ewigkeit verloren gehen, also von Gott getrennt und verdammt sind“. Ferner fehle „das Vertrauen in die Wirksamkeit des Wortes Gottes“. Der Glaube komme aus der Predigt (Römerbrief 10,17). Parzany: „Ein soziale Pantomime reicht daher nicht aus!“



Fundamentalismus-Keule gegen Evangelikale

Die Verkündigung dürfe sich nicht auf private Gespräche beschränken, denn die öffentliche Predigt signalisiere den Anspruch auf verbindliche Gültigkeit der christlichen Botschaft für alle Menschen. Doch das sei, so Parzany, „nach postmodernem Verständnis unerträglicher Fundamentalismus“. In den Massenmedien werde „immer kräftiger die Keule des Vergleichs von Evangelikalen mit islamistischen Fundamentalisten geschwungen“. Als Folge zögen sich viele Christen in private Nischen zurück. Das lehnt Parzany ab: „Wir brauchen neuen Mut, mit der Verkündigung der Guten Nachrichten in die Öffentlichkeit zu gehen.“

Wie ködert man das evangelikale Fußvolk? Natürlich nicht, wie schon erwähnt, indem man ihnen erklärt, man wolle jetzt mit der Geschäftsmissions-Bewegung zusammenarbeiten, sondern indem man zunächst noch die bekannten Vokabeln bemüht: Satan, Sündenfall, Kirche, Gottes Instrument, Wiederkunft Jesu, Herrschaft u.a.m. Das kommt bei den verspotteten Evangelikalen an. Ich denke da an einen Onkel meiner Frau, der nach dem II. Weltkrieg in die USA auswanderte und bei seinen Besuchen in Old Europe mit Blick auf die Leiter der Freikirchen in den USA von „Himmelskomikern“ sprach. Offensichtlich sind Evangelikalen doch nicht so dominant, wie sie es gern sein möchten, da kommt ein Dominionismus-Programm gerade recht. Schirrmacher erkennt das – wahrscheinlich wider Willen – ganz richtig:

Alle in einen Topf?
Aufs Ganze gesehen wirft Erdmann ungezählte Personen, Werke und Bewegungen in einen Topf. Darunter sind ausgezeichnete und problematische, theologisch konservative und progressive, rechte wie linke, kleine wie große. Er setzt sie alle gleich und verdammt sie, die Lausanner Bewegung und die Weltweite Evangelische Allianz, Reformierte wie Baptisten, John Stott als reformierter Vordenker wie Brian McLaren als Vorreiter der Emerging Church-Bewegung, missionarisch tätige Organisationen wie auf andere Ziele ausgerichtete Werke, wie das Micha-Netzwerk. Sie alle verfolgen nach Erdmann eigentlich dasselbe Ziel, die Gemeinde Jesu weg vom Evangelium hin zur Beeinflussung durch die Welt zu locken.



Auf eine geheimnisvolle Weise dienen sie alle dem gleichen Ziel, auch wenn, von außen betrachtet, sich eigentlich manche Gruppierungen gegenseitig ausschließen. Ich selber habe die Transformation in meinem eigenen Umfeld erlebt. Da werden formal noch fast die gleichen Predigten gehalten wie vor 30 oder 40 Jahren, und doch ist alles ganz anders. Da schreibt einer aus unseren Reihen in einem Buch „Kirche bei den Menschen“, das er nach einem Vikariat in den USA verfasst hat, man solle die Gemeinde völlig umkrempeln, und wer nicht mitmacht, für den solle man beten, dass er die Gemeinde verlässt und wenn das nicht hilft, ihn auffordern zu gehen. Und das sind keine nutzlosen Empfehlungen, sondern sie werden strikt befolgt, wie ich aus eigenem Erleben weiß. Warum aber „die da oben“ so handeln und so anders sind als früher, wissen die Gemeindeglieder zumeist nicht. Sie meinen, „der sei nun mal eben so“ oder „er sei eben anders“, vielleicht auch „das ist nun heute mal so, die Zeit geht eben weiter“. Das dahinter aber ein Programm steckt, wissen die meisten nicht, und wenn man ihnen die Namen aufzählt, die Dr. Erdmann nennt, wissen sie damit nichts anzufangen, weil sie noch nie von ihren gehört haben.



Evangelikalismus eine Spielart der Esoterik?
Die evangelikale Bewegung ist für Erdmann rechts und links mit esoterischen Bewegungen aller Art verknüpft. Möglich wird das über Wortassoziationen. Weil etwa die Rosenkreuzer ebenso wie einige Evangelikale von einer „Zweiten Reformation“ sprechen, könne dahinter eigentlich nur das gleiche Anliegen stehen (S. 87).



Wahrscheinlich ist Schirrmacher viel zu sehr im Jet unterwegs, als dass er noch weiß, was in den Gemeinden gespielt wird. Er hat gewiss nicht mitbekommen, dass 2010 das „Jahr der Stille“ war. 50 Verbände, Werke und Gemeinden hatten sich zusammengeschlossen unter der Parole: „Das Jahr der Stille will helfen, Balance zu finden. Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Ruhe. Gottes faszinierenden Lebensrhythmus entdecken, den er selbst in angelegt hat. Neue Impulse bekommen für das fruchtbare Wechselspiel von Aktion und Stille. Stille einbauen lernen in den ganz normalen Alltag von Beruf, Familie und Gemeinde“ (aus der Erklärung der Evangelischen Allianz.) Ich will das Thema hier nicht erschöpfend behandeln, nur soviel, diese Stille hat große Ähnlichkeit mit esoterischer Selbstversenkung und Loyola’schen Exerzitien (wie das auch in „Leben mit Vision“ zum Ausdruck kommt). Man muss einfach „so tun als ob“, die meisten werden gar nicht merken, was um sie herum und mit ihnen selber geschieht. Sie leben nicht ihren Glauben, sondern werden mit dem Glauben anderer gelebt.



Oder man betrachte das meditative Spielchen mit den „Stufen des Lebens“. Ob in Gemeinden oder Diakonissenhäusern, überall stößt man auf die Installationen aus Steinen, Kerzen, Blumen, Blättern und anderen, die „Fantasy“ anregenden Gegenständen, und da will uns Schirrmacher weismachen, Dr. Erdmann sehe Gespenster, wenn er von der esoterischen Verknüpfung der evangelikalen Szene spricht.



Und das Geschwätz von der „zweiten Reformation“ kommt einem überall entgegen. Mancher harmlose Evangelikale wird dabei noch dran denken, dass man das doch auch schon früher gesagt habe: „Wir brauchen eine neue Reformation!“ Und alle haben uneingeschränkt zugestimmt. Dass aber diese „zweite Reformation“ nichts mit ihren früheren Hoffnungen zu tun hat, entgeht ihnen dabei. Und die heutigen Befürworter meinen ja auch keine „zweite Reformation“ – ganz abgesehen davon, dass eine Reformation heute gar nicht möglich wäre – sondern sie meinen Transformation und missbrauchen das Wort und die damit traditionell verbundenen Hoffnungen. Überhaupt ist inzwischen eine völlig neue Sprache eingeführt worden, die eine Abkopplung vom bekannten Evangelium bewirkt. Ein Mitarbeiter der DMG, der in Ungarn an einer Bibelschule lehrt, hielt einen Gottesdienst in meiner Gemeinde und sprach unablässig von der Postmoderne, der sich die Gemeinde stellen müsse, wobei die meisten den Ausdruck wohl noch nie gehört hatten (ich höre als Echo: „Dann wurde es aber auch höchste Zeit“). Aber dies sollte der Impuls für „Emerging Church“ sein. Auf meine kritische Anfrage reagierte er erst nach einer zweiten Aufforderung unwirsch. Überall sind die „Missionare“ des Neoevangelikalismus unterwegs und verbreiten ihr „Newspeak“. Das Vokabular wird sukzessive ausgetauscht, und neue Sprache = neues Denken = anderes Evangelium.



Der Einsatz für die Armen
Erst auf S. 181 heißt es erstaunlicherweise, da Erdmann bis dahin kein gutes Wort über gute Werke im sozialen Bereich gesagt hat: „Evangelikale haben traditionell das Gebot der Schrift ernstgenommen, als ‚Salz‘ und ‚Licht‘ (Matth. 5,12–13) in der Welt zu wirken. Diese Worte besaßen, so Erdmann, ursprünglich keine dominionistische Färbung. Sie bedeuteten einfach, dass Christen durch individuelle oder gemeinschaftliche Wohltaten das Leben von Menschen positiv beeinflussen können. Dank eines heiligen und gerechten Lebensstils, der übereinstimmt mit einem biblischen Glaubensbekenntnis, können Christen auch in ihrer kulturellen Umgebung Gutes leisten.“ (S. 181).

Das ist wirklich erstaunlich, denn bis S. 181 klang es so, als wäre dem genau nicht so und als fiele schon das alles unter „Dominionismus“. Diese Worte könnten doch von der Micha-Initiative und praktisch allen von Erdmann angegriffenen Personen und Organisationen stammen.



Wie schon oben gesagt, geht es bei der Micha-Intiative um eine zentral gelenkte Aktion, nicht mehr die einzelne Missionsgesellschaft soll in ihrem Missionsgebiet diakonische Hilfe leisten, sondern durch die Allianz soll der Spendenfluss auf von dort ausgesuchte Projekte fließen. Und – zum wiederholten Male – sei daran erinnert, dass es gerade Schirrmacher war, der im „Ethik-Kodex für Evangelisation“ nur absichtsfreie soziale Hilfe zulassen will. Und hier – auch das sei noch einmal vermerkt – tut man sich viel darauf zugute, im Gleichschritt mit dem Milleniums-Projekt zu handeln. Wenn das kein Dominionismus ist, was soll es dann sein? Und Kay Warren, die Ehefrau von Rick Warren – dem Teilnehmer an den Weltwirtschaftskonferenzen von Davos – hat es ja deutlich gesagt, wie die Unterstützung in den Missionsgebieten – die es aber vermutlich bald gar nicht mehr geben wird – aussehen soll:



Kay Warren verwarf die Beibehaltung der Selbständigkeit der örtlichen Kirchen; ihrer Meinung nach sollten die Kirchen unter die Leitung größerer Agenturen gestellt werden, die über die Landesgrenzen hinaus tätig seien. Als Begründung führte Kay Warren im Interview das „dreibeinige Stuhlmodell“ von Management-Berater Peter Drucker an.

(GzM S. 197)

… sofort behauptet er (Erdmann), dass die „Gemeinnützigkeit“ nur vorgeschoben ist: „Blickt man allerdings unter die Oberfläche, erkennt man den Dominionismus.“ Alles ist „werbeträchtig“ darauf ausgerichtet, „die öffentlichen Meinungsmacher in der Welt positiv“ zu beeindrucken, und „neue ‚Rekruten‘ für die Armee der ‚Milliarde von freiwilligen Fußsoldaten‘ anzuheuern“ (S. 185). Und was ist sein Beweis für seine ungeheuerliche Aussage? Der lapidare Satz danach, nämlich dass Rick Warren die Micha-Iniative unterstützt. Also, wenn Rick Warren die Armutsbekämpfung unterstützt, kann sie ja nur falsch und seiner Gier nach Anerkennung geschuldet sein? Diese Logik überzeugt nicht.

Aber Rick Warren selber überzeugt, denn er hat die Behauptung aufgestellt, 2 Mrd. Christen in Marsch setzen zu wollen, um bis zum Jahr 2015 den Hunger in der Welt zu halbieren. Aber vielleicht liest Schirrmacher ja solche Mitteilungen vorsichtshalber nicht, damit das Abstreiten von Dr. Erdmanns Erkenntnissen nicht behindert wird. Natürlich kann man skeptisch sein, ob es Rick Warren gelingen wird, aber wenn er es schon so steif und fest behauptet, wird wohl „was dran sein“ – oder?

Fehlerhaft
Das Buch enthält viele Aussagen, für die ein Beleg fehlt oder die einfach falsch sind. So heißt es „Im frühen 21. Jahrhundert treten in evangelikalen Denominationen und parakirchlichen Institutionen unzählige Befürworter eines Staatskirchensystems auf und legen einen erstaunlichen Eifer an den Tag.“ (S. 27). Wer das denn so vertreten hat, wird nicht gesagt und konkrete Belege dürfte man wohl vergeblich suchen. (Ich will einmal ganz außer Betracht lassen, dass die Trennung von Kirche und Staat eine komplizierte, sich in jedem Land neu und anders darstellende Thematik ist, die man nicht wie Erdmann auf drei absolute Sätze reduzieren kann.)

Wie war denn das mit den Evangelisations-Kreuzzügen? Da wollten doch etliche – ich meine, es wäre „Campus für Christus“ gewesen oder/und „Operation Mobilisation“ mit der weltweiten Schiffsmission mit „Logos“ und „Doulos“ – oder /und die Satteliten-Mission von ??????? – die sich als Zielvorgabe das Jahr 2030 gesetzt hatten, die Welt vollständig missioniert zu haben. Was sollte denn das am Ende anderes bedeuten, als eine evangelikale Weltherrschaft? Niemand wird skeptisch, wenn sich Missionen große Ziele setzen, aber nach 2000 Jahre Christentum in einem Gewaltritt die Welt zu Christus bekehren zu wollen, ist denn doch wohl abwegig und weder durch die Hl. Schrift noch durch die Erfahrung gedeckt. Eine Missionsgesellschaft suchte die andere durch immer noch spektekulärere Aktionen zu überbieten. Man muss es wohl der amerikanischen Großmannssucht zuschreiben, aber keinesfalls dem Evangelium. Oder es steckt eben etwas ganz anderes dahinter, nämlich Christen zu Erfüllungsgehilfen einer ganz anderen Welteroberungsstrategie zu machen. Und anscheinend sind amerikanische „born again“ – aber inzwischen auch deutsche – nur noch zu motivieren, wenn das, wofür sie sich einsetzen, das Größte, das Bekannteste und „Faszinierendste“ ist. Natürlich wird man nicht propagieren: „Wir wollen die Weltherrschaft“, das würde auch die fundamentalistischen Evangelikalen zum Rückzug veranlassen, aber man kann die evangelikale Szene mit Weltbeglückungsparolen stimulieren. Was dann in geschlossenen Zirkeln verlautet, ist etwas anderes, da kann man schon deutlicher werden. Und genau das hat Dr. Erdmann in seinem Buch festgehalten. Schirrmacher lenkt dabei auf ein – für das Buch Dr. Erdmanns – nicht relevantes Thema ab, nach dem Motto: „Reden wir mal von was anderem.“:

Die wirklichen Probleme der evangelikalen Bewegung kennt und erwähnt Erdmann nicht
Selbstverständlich hat die weltweite evangelikale Bewegung mit ernst zu nehmende Problemen in ihren Reihen zu kämpfen. Wie sollte das bei mehr als einer halben Milliarden Menschen auch anders sein? Nur kann ich nicht ersehen, dass Erdmann irgendeines von ihnen wirklich kennt und seriös darstellt. Man denke an die kürzliche gemeinsame Stellungnahme der Lausanner Bewegung International und der Weltweiten Evangelischen Allianz gegen das „Health-and-Wealth-Gospel“. Dass Geld eine Wurzel allen Übels ist, auch in der Gemeinde, steht schon im Neuen Testament und die evangelikale Welt ist wie alle Christen natürlich nicht immun dagegen. Doch Erdmann behandelt das Wohlstandsevangelium nicht, sondern nur diejenigen, die Armut bekämpfen wollen.

Die wirklichen Probleme der evangelikalen Bewegung – wenn es denn die sind – nennt auch Schirrmacher nicht – sieht man vom „Maulkorberlass“ „Ethik-Kodex“ einmal ab. Er wirft das Stichwort „Health-and-Wealth-Gospel“ einfach als Ablenkungsmanöver in die Debatte, ohne dass bisher im evangelikalen Raum die Sache offen diskutiert worden wäre. Ganz im Gegenteil, Kritiker der Auftritte etwa von Joyce Meyer bei Bibel-TV bekommen zu hören, dass der Sender ohne die von ihr bezahlte Sendezeit gar nicht existieren könnte.

Machtmenschen gibt es überall und sie bedrohen auch gerade evangelikale Gemeinden, wie etwa Martina und Volker Kessler als Insider in ihrem Buch „Die Machtfalle‘ darstellen. Doch so etwas Konkretes samt Lösungsvorschlägen findet sich in Erdmanns Buch über „Macht“ nicht.

Ja, es ist schon erstaunlich, wo Schirrmacher Freund und Feind ausmacht. Er bezieht sich auf das Machwerk von Volker und Martina Kessler „Die Machtfalle“. Hier ein kleiner Ausschnitt aus der vor Schreibfehlern strotzenden Rezension bei „Irrglaube.parlaris.com“:

AUS DEM BUCH"DIE MACHTFALLE" MACHTMENSCHEN IN CHRISTLICHEN GEMEINDEN

Machtfalle, Machtmenschen in der Gemeinde
Ein Machtmensch wird eher die Gemeinde (Freikirche) oder das Werk opfern, als freiwillig auf Macht zu verzichten. Er wird zu immer stärkeren Mitteln greifen, gegebenenfalls auch lügen!!! obwohl er sich als Christ bekennt.

Es kann auch sein, dass dem Machtleiter gar nicht bewusst ist, dass er die Unwahrheit sagt. Aufgrund seiner selektiven Wahrnehmung hält er seine Aussagen tatsächlich für die Wahrheit.



Das ist bereits in das Periodikum der Evangelischen Allianz eingeflossen:

… werfen wir einen Blick ins Vierteljahrsheft EiNS (Ausgabe 4/2011, S. 16), wo es heißt: “Macht und Einfluss in christlichen Gemeinden”. Es wird ein länglicher Exkurs darüber ausgeführt, ob nun in der Gemeinde Älteste gewählt werden dürfen oder nicht, über „Machtmissbrauch“ und „Machtverzicht“. Die Verfasser Martina und Volker Kessler berufen sich denn auch nicht auf die Bibel, sieht man von einer getürkten Zitierung ab, die sich auf 1. Mose 1,26 bezieht: „Der Mensch hat Macht, weil Gott ihn so gemacht hat. Von daher kann Macht nicht grundsätzlich schlecht sein.“ Von dort aber wo im NT von Macht- und Machtmissbrauch die Rede ist, in 2. Kor.1,24 etwa, liest man nichts: „Nicht, dass wir Herren seien über euren Glauben, sondern wir sind Gehilfen eurer Freude; denn ihr stehet im Glauben.“ (Auszug aus Vortrag von G. M.)

Machtmissbrauch im traditionellen Sinne wird vor allem von jenen beklagt, die den Neoevangelikalismus noch nicht in allen evangelikalen Gemeinden verwirklicht sehen. Und da gibt es den stillen oder offenen Zweikampf um dessen Durchsetzung, wie ich aus eigenem Erleben weiß. So dient die Klage vor allem der Umsetzung der methodischen Vorherrschaft, die auf örtliche Autoritäten verzichtet und sich auf ferne Alpha-Tiere beruft, die spektakuläre Ideen und Programme – vor allem in den USA – entwickeln und zur Vorlage für die Weltgeltung machen. So dient das Kessler-Buch vor allem der strategischen Durchsetzung solcher Thesen und Programme, was ja ohne weiteres einsehbar ist, da er Leiter der neuen „Führungsakademie“ ist. Die „Akademie für christliche Führungskräfte“ ist eine Dependance der Universität Südafrika – an der auch Johannes Reimer, Missionswissenchaftler der Bibelschule Ewersbach (FeG) lehrt. Sie wurde von einem Stiftungsrat unter Vorsitz des pfingstlerischen Unternehmers Schock, Schorndorf, gegründet.



Hat je einer in unseren Gemeinden gewusst, dass die Evangelikalen in den USA so in das politische Geschäft verwickelt waren, wie es der Bericht in Zeit-Online zeigt? Und sie haben eine doppelte Kehrtwendung vollzogen, bestehen auf der Trennung von Staat und Kirche, wenden sich von den Demokraten ab und beschweren sich gleichzeitig über zu wenig Engagement gegenüber dem Kommunismus und wenden sich den Republikanern zu. Während wir in Deutschland schon unsere Stirn in Falten legen, wenn sich der Allianz-Hauptvorstand mit der Bundeskanzlerin trifft, wird offensichtlich in den USA von den Evangelikalen ganz ungeniert Politik gemacht. Wo ist die Grenze, was sind die Ziele, wer bestimmt, was wo verfolgt und unterstützt werden soll? Es wird also Macht ausgeübt von Leuten, die von niemandem dazu beauftragt wurden. Die Gemeinde wird dazu nicht befragt. Das ist viel gravierender, als wenn hierzulande die Gemeinde von einem Eigenbrödler geleitet wird. Das ist Dominionismus pur.



Zeit – Online 13.11.2011

Christentum Die neuen Evangelikalen (Seite 2/3):

Die neuen Evangelikalen sind für eine Trennung von Kirche und Staat
Zweimal vollzogen die Evangelikalen im 20. Jahrhundert eine konservative Wende. Die zweite, in den 1960er Jahren, war eine Reaktion auf die von ihnen so empfundene moralische Feigheit in der Außenpolitik. Sie fühlten sich provoziert von linken Antikriegsprotesten und der mangelnden Bereitschaft, den Kommunismus zu bekämpfen. Mit dieser Kehrtwende reagierten sie auch auf die Innenpolitik Lyndon B. Johnsons, dessen Bürgerrechtsprogramme und Armutsbekämpfung sie als falsche »Almosen« ansahen. Als dann noch die grellen Hippies kamen, schlossen sich die Evangelikalen vollends den Republikanern an, um die Nation vor dem moralischen Abstieg zu bewahren.

Aus einem Vortragsmanuskript von G. Meskemper zum Buch von Dr. Erdmann:

Rick Warren nimmt für sich die Autorität des frühkirchlichen Bischofs in Anspruch, indem er von seinen Anhängern verlangt, „nie etwas Kritisches über sein Programm ‚Leben mit Vision’ zu sagen“ (GzM S. 29) Ein Teilnehmer des alljährlichen Managertreffens von Davos, Felix Salmon, schreibt in „Market Movers“:

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Rick Warren und Brian McLaren auf dem WEF in Davos

„Davos-Überraschung: Rick Warren

Die bisher größte Überraschung für mich in Davos war … Rick Warren. Da ich ein kosmopolitischer, atheistischer Typ bin, habe ich natürlich von ihm gehört, dachte aber, er sei nur der Autor eines sich gut verkaufenden Selbsthilfebuchs und Pastor irgendeiner großen Kirche. Es war mir allerdings nicht bewusst, dass er schon jahrelang nach Davos kommt und dass die Herrscher des Universums – und Zyniker – auf seinen Charme [magic] genauso ansprechen, wie seine Kirchenmitglieder zuhause.

‚Wenn Sie ein globaler Leiter sind, müssen sie sich bewusst machen, dass die Verweltlichung nicht die Zukunft der Welt bestimmen wird,’ sagte er [Rick Warren] in einem Diskussionsforum über „Glaube und Modernität“, das Tony Blair moderierte. ‚Der Einfluss der Religion wird zunehmen, nicht abneh-men. Dies mag ihnen nicht gefallen, aber so wird es nun einmal sein.’“

Market Movers, von Felix Salmon

Wie soll eine freiheitlich geistliche Gemeinde- und Allianzarbeit möglich sein, wenn man über Führungskongresse die Transformationale Führung installiert, die nach ihrem Erfinder Kurt Lewin (WIKIPEDIA) zu dem nachstehenden Verhaltensmuster führen soll?

Der Begriff Transformationale Führung bezeichnet ein Führungsmodell, bei dem die Geführten Vertrauen, Respekt, Loyalität und Bewunderung gegenüber der Führungskraft empfinden und dadurch überdurchschnittliche Leistungen erbringen

Ach ja, da fällt mir noch ein, dass in unserer Stadt ein neuer evangelikaler Pastor agiert, der als eine der ersten Amtshandlungen die Bibeltreuen in seinem Kirchenvorstand an die Luft setzte und seine Vorstellungen von Gemeindearbeit mit angeblichen Beauftragungen durch den Heiligen Geist durchsetzte: „Der Geist hat mir gesagt…“ Wer will dagegen noch etwas sagen, wenn es doch „der Geist“ gesagt hat. Die Jungen sind begeistert, und die Alten sind frustriert, sie verlassen die Gemeinde und sind – weil es in den anderen evangelikal geprägten Gemeinden ähnlich zugeht – heimatlos. Dabei ist mit Händen zu greifen, dass der Betreffende seine Starrköpfigkeit mit dem „Heiligen Geist“ bemäntelt. Aber diesen Typus meinen die Kesslers gewiss nicht. Wir haben keine echten geistlichen Autoritäten mehr, deren Wort Geltung hätte, sondern „Glaubens-Manager“, die ein organisiertes Bekehrungsritual und ein daraus folgendes Gemeindemanagement betreiben. Es handelt sich um die Dominanz der Methoden, die unter Gruppendruck (Team) durchgesetzt werden.

Dann versucht Schirrmacher den Einfluss der führenden Amerikaner im internationalen Zusammenspiel der Evangelikalen herunterzuspielen: Man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass Schirrmacher von der Strategie und dem sie ermöglichenden Netzwerk nichts versteht oder ...

Wenn man sich die vier Hauptzweige des „Dominionismus“ anschaut und die Personen, die Erdmann als ihre Hauptvertreter anführt (C. P. Wagner, Billy Graham, Bill Bright, Rick Warren, Bill Hybels, Brian McLaren, Erwin McManus), muss man zu dem Schluss kommen, dass Erdmann 1. den amerikanischen Evangelikalismus mit dem internationalen verwechselt und international den Einfluss großer Namen und ihrer jeweiligen „Ministries“ stark überschätzt. In den USA stehen solche Namen neben einer Vielzahl anderer „big guys“, er nennt ja vor allem diejenigen, die sehr stark auch in Deutschland engagiert und bekannt sind. (S. 8)

Es mag sein, dass bei den großen Kongressen auf internationaler Ebene die Evangelikalen aus den Entwicklungsländern dominanter erscheinen, als die Vertreter der evangelikalen „Stammländer“ USA und Deutschland. Dennoch treten gerade die Neo-Altevangelikalen als Sinngeber mit ihrer „Leitkultur“ auf, wie Schirrmacher durch sein weltweites Engagement selber deutlich macht.

Und wer immer einen Verantwortlichen der Weltweiten Evangelischen Allianz fragt, wird als Problem Nummer 1 zu hören bekommen, dass die durchschnittliche Bibelkenntnis unter Evangelikalen bedrohlich abnimmt. Doch zu all dem sagt Erdmann nichts, schon gar nicht, wie man diese Probleme überwinden kann. (S. 8)

Statt also solche Fragen anzusprechen, behauptet Erdmann, Kernproblem sei, dass die evangelikale Bewegung ihren evangelistischen Schwung verloren hätte. (S. 8)

Mit diesen beiden, kurz aufeinander folgenden Sätzen führt sich Schirrmacher selber ad absurdum. Anstatt dass die Evangelische Allianz darauf den Finger legt und durch begleitende Kulturkritik am humanistischen Denk- und Menschenbild das Problem angreift, gibt man sich alle Mühe, zeitgemäß zu erscheinen, in Vokabular und Methoden es der Welt gleichzutun, möglichst noch, ihr einen Schritt voraus zu sein, wie das Programm des Dominionismus zeigt. So spielt Schirrmacher denn auch die Kohabitation der WEA mit der UNO herunter und stellt Dr. Erdmann als uninformiert hin, wenn er schreibt:

Dass der UN-Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz für den Einsatz der Ausgangspunkt die stark wachsende Zahl von Christen in Armutsregionen gewesen und die Einsicht, dass sie am besten wissen, wie man mit Unterstützung reicherer Kirchen und Länder Armut vor Ort konkret bekämpfen kann. (S. 8)

Dagegen hat Dr. Erdmann die Zusammenhänge sehr deutlich klargelegt (GzM S. 106-108)

Wie war es möglich, dass ein neoevangelikaler Missionloge wie Jay Gary sich mit der berühmten einflussreichen Schlüsselfigur der New-Age-Bewegung, Robert Muller, abgab? […] Gary gründete 1991 das „Bimillennial Global Interaction Network 2000“ (B.E.G.I.N.). In seiner Broschüre beschreibt er B.E.G.I.N. wie folgt:



[…] ein globales Netzwerk von Gruppen und Personen, die sich gemeinsam darum bemühen, dass das Jahr 2000 als ein planetarisches Jubeljahr von der ganzen menschlichen Familie zelebriert wird.



Robert Muller wurde als einer der drei Leiter der Organisation B.E.G.I.N. aufgeführt und in der Broschüre als „Schlüsselperson“ gekennzeichnet. […]



Im Anschluss an diese „Schlüsselperson(en)“ setzt Gary „Schlüsselwörter“, die auf Deutsch Folgendes bedeuten: zweitausendjährig, zukünftige Zivilisation, Vernetzung, Solidarität, glo-bal, Jubeljahrfeiern, „mega“. Deutlich erkennbar ist Garys Übernahme von Begriffen, die Muller in seinen Büchern für wichtig erachtet. […]



Robert Muller, der ehemalige Vize-Generalsekretär der Vereinten Nationen und theosophischer Futorologe, arbeitete oft mit dem evangelikalen Leiter Jay Gary zusammen.



1993 stellte Muller in Chikago vor dem „Parlament der Weltreligionen“ einen Plan von einer „Weltagentur der Spiritualität“ vor. […] Im Vordergrund sollten der Fortschritt, die fortschreitende Bildung, die „erleuchtete Demokratie“ und die Transzendenz stehen. Der Mensch sollte in die Verantwortung genommen werden, eine „umfassende, vorwärts schreitende „kosmische Evolu-tion des Planeten Erde“ voranzutreiben. […]



Muller forderte, dass die neue „Weltagentur der Spiritualität*“ die „Riten“ aller Weltreligionen praktizieren sollte. (*Spiritualität, eine Vokabel im Wortschatz der Politiker, z.B. von Angelika Merkel)



Und so argumentiert Schirrmacher auf der ganzen Linie mit Unterstellungen und aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen. Da Schirrmacher viel weiter bekannt ist und sich als „Fachmann“ in „allen Fragen des Lebens und des Glaubens“ geriert, „wird er wohl Recht haben“. Wer unterzieht sich schon der Mühe nachzuprüfen, ob das wirklich alles stimmt, was er so schreibt.



Ad personam: Wasser predigen und Wein trinken
Normalerweise ist mir eine Argumentation ad personam zuwider. Ob ein Autor Recht hat, hängt nur bedingt mit der Frage zusammen, ob er selbst entsprechend lebt. Wer ad personam Erdmann nichts hören möchte, kann diesen kleingedruckten Teil ohne Verlust überspringen. Aber da Martin Erdmann seine These über weite Strecken darauf aufbaut, welche Personen mit wem zusammenarbeiten, wo sie gesprochen haben, und viel aus dem Leben evangelikaler Leiter erzählt, interessiert der Glaubwürdigkeit halber, inwieweit er sich selbst von den kritisierten Personen unterscheidet. Erstaunlicherweise eigentlich nicht. Oder anders gesagt: Wäre Erdmann nicht gerade Autor des Buches, wäre es leicht, ihm im Duktus seines Buches des „Dominionismus“ zu überführen, den er bei so vielen anderen findet.

So wirft er anderen vor, um der Akzeptanz in einer säkularen Umwelt willen keine klare biblische Sprache mehr zu sprechen. Man müsse immer und überall biblisch verkündigen und dürfe sich weder um einer größeren Akzeptanz willen anpassen, noch gesellschaftspolitisch aktiv sein. Martin Erdmann arbeitete selbst bis vor kurzem als „Senior Scientist“ am Universitätsspital Basel im Bereich der Ethik der klinischen Nanomedizin (S. 7). Liest man seine Texte und Veröffentlichungen dazu, erfüllen sie genau den Tatbestand dessen, was er kritisiert. … Und was ist ein Theologe, der zur Ethik der Nanomedizin forscht, anderes als ein Theologe, der versucht, die Gesellschaft zu beeinflussen? (S. 9)

Man staunt nicht schlecht, wenn man sieht, wie Schirrmacher Äpfel mit Birnen vergleicht. Ein Arbeitsauftrag im Rahmen eines Klinikums ist ja wohl etwas grundlegend anderes als eine evangelikale Anbiederung an die Großen der Macht. Was im Blick auf die Verkehrtheiten dieser Welt gilt, gilt gewiss auch im allgemeinen Sinne, wenn es im 1. Kor. 5,9-10 heißt: „9 Ich habe euch geschrieben in dem Briefe, daß ihr nichts sollt zu schaffen haben mit den Hurern. 10 Das meine ich gar nicht von den Hurern in dieser Welt oder von den Geizigen oder von den Räubern oder von den Abgöttischen; sonst müsstet ihr die Welt räumen.“ Die Gemeinde Jesu ist nicht die Hilfstruppe der Macht und der Mächtigen, auch wenn das über fast 2000 Jahre immer so war. Die „geistliche Unterstützung“* bei der Verteidigung des deutschen – oder englischen oder französischen – Vaterlandes war in den zurückliegenden Jahrhunderten ebenso „normal“, wie die heute eingeforderte Unterstützung der Weltpolitik bei der Kaschierung von Hunger und Kriegsfolgen. Wieso machen die führenden Evangelikalen nicht den Konflikt offenbar, der zwischen dem „Friedensgesäusel“ der UNO und der Realität klafft? Es hat in den Jahren zwischen dem II. Weltkrieg und heute kein Jahr ohne gravierende kriegerische Auseinandersetzung gegeben. Und wenn fern – nicht mehr in der Türkei, sondern in Afrika – „die Völker aufeinander schlagen“, dann sind in fast allen Fällen westliche Interessen der Auslöser, ob in Uganda oder im Kongo, ob beim „arabischen Frühling“ in Nordafrika oder im Syrien-Konflikt. Von aufregenden Einsprüchen der Welt-Allianz hört man nichts. Es drängt sich der Verdacht auf, dass durch die angemahnte Hungerhilfe für die Armen das evtl. noch vorhandene Kritikpotential unter den Evangelikalen absorbiert werden soll. Solange die Gemeinden mit Hilfsaktionen beschäftigt sind, kommen sie nicht auf den Gedanken, dass am System etwas nicht stimmen könnte. Sie werden durch die ständigen Spendenaufrufe sediert. Damit soll keineswegs die diakonische Hilfe im Rahmen der jeweiligen Missionsgesellschaft kritisiert werden, wohl aber der Vereinnahmung zum sozialen Engagement durch den zentralen Apparat der WEA.

*(„Welch eine Wendung durch Gottes Fügung“, auf einem Spruchband am Brandenburger Tor nach dem Sieg 1871 über Frankreich)



Wenn es nicht zum Aufschrei der Atheisten und Humanisten kommt, stimmt etwas nicht, wobei das Gemosere der Linksgrünen und sogenannten „Ethnologen“ gegen die Aktivitäten von World-Vision nicht vergessen werden soll. Aber ich denke dabei an die Gründung der Bremer Bekenntnisschule. Als der Bremer Senat am 15.1.1979 zur Genehmigung schreiten wollte, lag rechtzeitig ein Protestschreiben von 25 Bremer Pastoren vor, in dem sie sich über die zu erwartende Genehmigung beschwerten (unser HErr antwortete mit der Losung am Tag der Genehmigung (22.1.1979) aus Ps. 118,22 „22 Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“) Bekenntnisse – so meinten diese Herren „Pastoren“ – hätten heute nicht „religiös“, sondern politisch zu sein. Die von uns angestrebte Bekenntnisschule sei ein Rückschritt. Dergleichen hat man bis heute aus der gleichen Ecke im Blick auf islamische Forderungen, etwa nach gleichgestelltem Religionsunterricht oder der Etablierung islamischer Feiertage nie gehört. Aber auch die Allianz ist in diesen Punkten brav.



Die kritische Aufarbeitung des Schirrmacherschen Kommentars könnte noch durch viele weitere Beispiele belegt werden, der Verfasser verzichtet darauf. Auch auf die in Schirrmachers Replik aufgeführten Kommentare werden wir nicht mehr eingehen.

G. Meskemper, 25.8.2012
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#2
Wahrheit minus eins

Wahrheit minus eins

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Nach Lesen des Beitrags sehe ich mich bestätigt, daß "evangelikal" längst ein "Muster ohne Wert", ein Gütezeichen wie etwa "Made on Mars", eine Belanglosigkeit, eine Verballhornung des Christseins geworden ist.
Herr Jesus komme bald. Amen
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