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"Fanatismus ist das Paradies für eine Sekte."


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Rolf

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"Fanatismus ist das Paradies für eine Sekte."




Hole nennt sechs psychische Bedürfnisse, die für fundamentalistisch eingestellte Menschen typisch sind:

1. Das Bedürfnis nach Sicherheit,
2. das Bedürfnis nach Verankerung,
3. das Bedürfnis nach Autorität,
4. das Bedürfnis nach Identifikation,
5. das Bedürfnis nach Perfektion,
6. das Bedürfnis nach Einfachheit (S. 28).

Alle diese Bedürfnisse versucht er durch eine Orientierung an äußeren Werten bzw. Idealen zu befriedigen. Und je stärker er diese Befriedigung in Gefahr glaubt (z.B. durch die Lehre innerhalb der Gemeinschaft, Glaubensfeinde, Kritiker oder Satan lauerten überall und warteten nur darauf, ihm alles wegzunehmen), desto heftiger / fanatischer wird er sie verteidigen.
Wie kann man dem fanatischen Fundamentalismus nun entgegenwirken? Im Folgenden wird versucht, Wege aufzuzeigen, die einen intensiven Glauben ohne fanatischen Ausprägungen zulassen.
Lösungswege

Ein Junge hatte Bonbons genascht, und seine Mutter hatte ihn erwischt. Da sie eine fromme Frau war und ihre Kinder religiös erzogen hatte, verwickelte sie ihren Sohn in folgendes Gespräch:

"Aber Junge, weißt du denn nicht, dass der liebe Gott dich immer sieht und alles beobachtet, was du tust!"
"Sicher Mama, das weiß ich."
"Dann ist dir ja auch klar, dass er dich eben in der Küche gesehen hat!"
"Natürlich hat er mir zugesehen!"
"Und was hat er wohl gesagt, als er sehen musste, wie du genascht hast?"
"Nun, er hat gesagt: Mein Lieber, du und ich, wir sind gerade allein hier in der Küche; nimm ruhig zwei Bonbons!"
(Niehl, F.W.: Die vielen Gesichter Gottes. München 1991, S.98)

In dem hier dargestellten Dialog wird deutlich, wie eine enge Beziehung zu Gott und seinen Geboten auf eine ganz selbstverständlich, natürlich und vertrauensvoll anmutende Weise gesehen und gelebt werden kann. Obwohl der Junge Gott als allgegenwärtig, allmächtig und allwissend erlebt, sieht er ihn nicht als "Paragraphenreiter", der nur bei peinlich genauer Auslegung seiner Anweisungen liebevoll ist und der ansonsten rächend und strafend über die Menschen wacht. Dieser Junge erweckt den Eindruck, als habe er selbstbewusst ein ganz persönliches, vertrauensvolles Bild von seinem Gott, der für ihn anscheinend eher Güte und Großzügigkeit als Strenge und Diktatur verkörpert.

In den Beratungsgesprächen mit Betroffenen aus fanatisch-fundamentalistischen Gemeinschaften wird immer wieder deutlich, dass ihnen ein solches persönliches und auch vertrauensvolles Bild von Gott, Jesus und anderen biblischen Figuren fehlt. Immer stehen die in der Bibel tatsächlich oder vermeintlich aufgestellten Vorschriften im Mittelpunkt. In der Regel kann ein Betroffener z.B. auf die Frage was seiner Meinung nach Jesus für ein Mensch war, was ihn vielleicht gefreut oder verletzt hat, keine Antwort geben. Viele erklären auch, noch nie darüber nachgedacht zu haben. Die Bedeutung der biblischen Geschichten und Personen für das eigene In-der-Welt-sein sowie der individuelle Bezug zur persönlichen Lebenswelt und -geschichte wird zugunsten von starren und für allgemein gültig und wahr erklärten Lehrmeinungen vernachlässigt oder sogar ganz aufgegeben. Eine Sicht der biblischen Lehren und Erzählungen, die dazu geeignet wäre, dieses ureigene Bild, diese individuelle Beziehung herzustellen oder eine solche zu ermutigen, wird in den entsprechenden Bibel- bzw. Hauskreisen meist weder vermittelt noch gefördert.

So verleugnen Betroffene oftmals in o.g. Manier damit auch ihre eigene lebensgeschichtliche Entwicklung. Sei es, weil sie sich nicht mit ungelösten, unverarbeiteten Problemen beschäftigen wollen oder können, sei es, weil sie aufgrund von ungewissen Lebensbedingungen oder unsicheren Bindungen in der Kindheit grundsätzlich keinen Halt, keine Sicherheit in sich selbst finden können, konzentrieren sie ihr gesamtes Denken, Fühlen und Handeln auf regressiv ausgerichtete Lehren. Diese bieten durch vereinfachte, starr strukturierte Glaubensmuster zumindest vermeintlich das Gefühl von Stabilität und Geborgenheit, berücksichtigen aber nicht den Menschen als individuelles, geschichtliches, sich fortwährend weiterentwickelndes Wesen. Insofern wird der Mensch in fanatisch-fundamentalistischen Gruppen in einem entscheidenden Punkt, der ihn als Menschen ausmacht, nicht gesehen und wohl auch nicht gewollt.

In Gesprächen mit einem solchen Menschen ist es wichtig, die Sehnsucht nach Halt und Sicherheit - Hempelmann spricht auch von "Glaubensversicherung" - anzuerkennen (S. 170). Um seinen Blick wieder mehr auf sein individuelles Erleben und seine eigenen Gedanken zu lenken, gilt es, immer wieder bestimmte Glaubensansichten auf ihren persönlichen Bezug zum Betroffenen hin zu hinterfragen und ihn zu ermutigen, diesen Bezug herzustellen. Die Konzentration bzw. Rückbesinnung auf das innere Erleben und die damit verbundene Ich-Stärkung macht es möglich, die jeweilige fanatisch-fundamentalistische Glaubenslehre mit mehr Abstand zu betrachten. Diese Distanz schafft Raum für eine kritischere und v.a. selbstbestimmte Auseinandersetzung sowohl mit der Doktrin als auch dem Menschenbild der betreffenden Gemeinschaft.

In der Beratungssituation wird zudem der lebensgeschichtliche Hintergrund, der zu einer Fanatisierung geführt hat, thematisiert: Wie ist es zu der inneren Unsicherheit und Suche nach Rückhalt und Stabilität gekommen? Wie kann der Betroffene für sich Möglichkeiten entdecken, sein Vertrauen in sich selbst zu stärken und sich aus diesem Selbstvertrauen heraus an der Vielfalt der Werte, der Vielfalt der verschiedenen Glaubensbewegungen so wie an der Vielfalt des Lebens in unserer Welt zu freuen? Denn genau diese Vielfalt und ihre Bewahrung wird als Weg gesehen, dem Fanatismus entgegenzuwirken (Hole, S. 163ff). <<


>>... Wie kann es dazu kommen? Deutlich ist, dass Menschen, die fanatisch-fundamentalistisch glauben, Halt und Sicherheit nicht in sich, sondern außerhalb ihrer selbst (hier: im Glauben) suchen. Dies kann verschiedene Ursachen haben.

Zum einen kann das Gefühl von innerer Sicherheit, das Vertrauen in sich selbst, durch äußere soziale Faktoren, wie z.B. wirtschaftliche Armut oder die politischen Verhältnisse im Heimatland, stark erschüttert werden. Weiß ein Mensch nicht, ob er morgen noch etwas zu essen hat, oder weiß er nicht, ob er morgen noch arbeiten oder sogar leben wird, so fühlt er sich in seinem Alltag nicht mehr geborgen und ist damit sehr anfällig für fanatisch-fundamentalistische Ideen. Zum anderen können auch innerpsychische Faktoren den Mangel an Vertrauen bedingen. Hat ein Mensch z.B. nie erlebt, dass er aus eigener Kraft Dinge gestalten, sein Leben beeinflussen kann und ist er nie ermutigt worden, Zuversicht zu entwickeln in bezug auf seine eigenen Fähigkeiten, aber auch in bezug auf eine gute Zukunft im allgemeinen, so wird er Sicherheit und Geborgenheit eher außerhalb seiner selbst suchen. Solche äußeren Werte sind, im Gegensatz zum Vertrauen in innere Werte, sehr zerbrechlich, da sie jederzeit wieder entzogen werden können. Dies führt dazu, dass ein Mensch, dessen "Fundament" des Grundvertrauens außerhalb seiner selbst liegt, dazu neigt, dieses aus Angst vor dessen Verlust bzw. Entzug um so vehementer zu verteidigen.
Die absolute Identifizierung mit einer Idee oder einer Glaubenslehre, die als allmächtig und vollkommen erlebt wird, erinnert überdies an die im Kindesalter vorhandene, hier auch entwicklungspsychologisch notwendige Idealisierung der Eltern oder anderer Bezugspersonen aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit heraus. Ein solches Bedürfnis haben zwar auch Erwachsene, im Prozess der seelischen Reifung findet jedoch eine schrittweise Entidealisierung bzw. Loslösung von den unmittelbaren Bezugspersonen statt, die mit der zunehmenden Bildung und Festigung eigener Wertvorstellungen und Lebensentwürfe verbunden ist. Bei fanatisch religiösen Menschen dagegen erfolgt anscheinend eine Regression in eine eher kindliche Form der Auslebung dieser Bedürfnisse.






"Fanatismus ist das Paradies für eine Sekte."

(John Keats 1795 - 1821, englischer Dichter)
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