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Hat Rick Warren wirklich den „Intel-Chip“ gefunden?


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#1
Rolf

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KIRCHE MIT VISION
Gemeinde, die den Auftrag Gottes lebt






– ODER: Hat Rick Warren wirklich den „Intel-Chip“ gefunden?





Eine kritische Rezension von Wilfried Plock


Rick Warrens Buch Kirche mit Vision erschien 1995 und erlebte in den USA innerhalb von
kürzester Zeit 36 Auflagen. Inzwischen wurden weltweit mehr als eine Million Exemplare in
14 verschiedenen Sprachen verkauft. Das Buch wurde zum Megabestseller. In Deutschland
erschien es 1998 im Projektion J Verlag. Es wurde bereits 12.500 mal verkauft.1 Zudem
wurden seit Erscheinen des Originals über 500.000 Gemeindeleiter auf der ganzen Welt „mit
den Prinzipien gesunden Gemeindebaus ...“ vertraut gemacht.2
Warum ist Kirche mit Vision so anziehend? Warum versteigen sich die Empfehlungen in die
höchsten Superlative? Hier einige Kostproben (alle dem Anhang entnommen):3 „Dieses Buch
ist ein seltener Schatz göttlicher Weisheit, völlig biblisch, inspiriert vom Heiligen Geist ...
Jeder Pastor muss dieses Buch lesen!“ (Bill Bright) „Rick Warren ist der Architekt für die
Gemeinde des 21. Jahrhunderts und dies ist seine Blaupause!“ (Bruce Larson) „Niemandem
gelingt gesundes Gemeindewachstum besser als Rick Warren.“ (Jim Reeves) „Kirche mit
Vision ist vielleicht das Kronjuwel unter der Literatur über Gemeindewachstum.“ (Randy
Pope) „Rick Warren ist derjenige, dem wir alle zuhören und von dem wir lernen sollten.“
(Robert Schuller) „Dieses Buch könnte einen so bedeutenden Einfluss auf die Zukunft der
Christenheit ausüben wie alle anderen Bücher zusammen, die in den letzten Jahren
erschienen sind.“ (Ronnie Floyd) „Ich betrachte Rick Warren als einen der größten Denker in
der heutigen Kirche.“ Dwight Reighard) „Rick Warren ist ein Genie ...“ (Ed Young jr.)

Diese Einschätzungen stammen von hoch angesehenen christlichen Leitern in den USA. In der
Tat ist Kirche mit Vision ein lesenswertes Buch. Der bibelkundige, differenzierfähige Leser
wird wirklich eine Fülle wertvoller Einsichten und Anregungen finden.

1 Nach Auskunft des Verlages Gerth Medien, der Projektion J inzwischen übernahm, vom 2. Mai 2001.

2 Rick Warren im Vorwort zu Dan Southerland: 8 praktische Schritte zu einer Kirche mit Vision, Gerth

Medien Asslar 2001, S. 11 Übrigens, dieses Buch muss man nicht unbedingt lesen. Der Autor meint zwar, dass
er etwas ganz Neues entdeckt habe (S. 18) und ihm damit quasi der große Wurf gelungen sei, aber in
Wirklichkeit kann man ähnliche Gedanken über das Einführen und Umsetzen einer Vision sehr oft in sog.
„charismatischen Kreisen“ hören oder lesen.
3 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 376-380

Was jedoch in den Lobeshymnen verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass das Buch
gleichzeitig sehr umstrittene, fragwürdige und m.E. auch irreführende Passagen enthält. Ich
möchte in dieser Untersuchung das Positive würdigen und auch das Negative beim Namen
nennen. Und um es gleich vorweg zu sagen: Meine Ausführungen basieren nicht nur auf der
gründlichen Lektüre von Warrens Buch, sondern auch auf eigener Beobachtung. Im Frühjahr
2000 hielt ich mich in Los Angeles auf. In jener Zeit konnte ich Saddleback mehrmals
besuchen, Gespräche führen und mir selbst ein Bild über die Arbeit machen.

I. Aussagen, über die ich mich gefreut habe

1. Rick Warrens Wertschätzung der Gemeinde
Das Buch als Ganzes bringt die Wertschätzung seines Autors gegenüber der Gemeinde Gottes
zum Ausdruck. Warren ist ohne Zweifel dem Gemeindebau völlig hingegeben. Die örtliche
Gemeinde betrachtet er nicht als Organisation, sondern als Familie.4 Diese Sichtweise ist in
einer Zeit der „Gemeindefrustrationen“ und „-traumata“ wohltuend.
Am Ende des Buches finden sich großartige Sätze: „Ich liebe die Gemeinde von ganzem
Herzen. Sie ist das brillanteste Konzept, das je erdacht wurde. Wenn wir wie Jesus sein
wollen, dann müssen wir die Gemeinde so lieben, wie er das tut, und wir müssen auch andere
lehren, die Gemeinde ebenfalls zu lieben ...“5 Diese Leidenschaft für die Gemeinde Christi
nehme ich dem Autor voll und ganz ab. Sie ist vorbildlich.

2. Die Betonung von Gemeindegesundheit

Obwohl Rick Warren selbst stark von der Gemeindewachstumsbewegung (church growth)
geprägt wurde,6 betont er in seinem Buch immer wieder Gemeindegesundheit (church health).
Darunter versteht man in Saddleback eine Ausgewogenheit zwischen den Elementen
Kleingruppen, Jüngerschaft, Anbetung (worship), Sonntagsschule – und insbesondere
zwischen Evangelisation auf der einen Seite und Weiterführung der Christen auf der anderen
Seite. Rick Warren sagt in diesem Zusammenhang wörtlich: „Das Geheimnis einer gesunden
Gemeinde ist Ausgewogenheit.“ Das angestrebte Ziel ist, Menschen nicht nur zur Bekehrung,
sondern dann zur geistlichen Reife zu führen. Ein weiterer Kernsatz hierzu lautet:
„Gemeinden werden wärmer durch Gemeinschaft, tiefer durch Jüngerschaft, stärker durch
Anbetung, weiter durch bestimmte Dienste und größer durch Evangelisation.“7

4 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 295-296
5 ebd. S. 372
6 ebd. S. 31-32
7 Churches grow warmer through fellowship, deeper through discipleship, stronger through worship, broader

Diese Sichtweise halte ich für ausgezeichnet. Ich wünschte mir, dass viele Gemeinden an
dieser Stelle von Saddleback lernen würden und strukturierter arbeiteten. Nach meiner
Beobachtung haben im deutschsprachigen Raum nur sehr wenige Gemeinden gleichzeitige
Angebote und Programme zur Evangelisation und zur Weiterführung der Gläubigen.
Entweder Gemeinden evangelisieren und evangelisieren und vernachlässigen dabei das
Wachstum der Christen - oder umgekehrt. Hier könnten sich in der Tat viele
Gemeindegründer eine dicke Scheibe an Saddleback abschneiden.
Übrigens, was Rick Warren unter der Überschrift „Das Fundament einer gesunden Gemeinde“
(Kap. 4) schreibt, gehört mit zum Besten in seinem Buch.8 Und auch darin stimme ich mit
ihm überein, dass vielen Gemeinden eine schärfere Sicht für den eigentlichen Auftrag gut tun
würde.

3. Gute Zitate und jede Menge praktische Tipps

Warren versteht es, an geeigneten Stellen würzige Zitate einzubauen. Wenn er über
Gewohnheiten spricht, führt er Dostojewski an: „Die zweite Lebenshälfte eines Menschen
besteht aus den Gewohnheiten, die er in der ersten Hälfte erworben hat.“9 Wenn er von
Überzeugungen redet, zitiert er Howard Hendricks: „Ein Glaube ist etwas, über das man
streiten wird. Eine Überzeugung ist etwas, für das man sterben würde.“10 Solche Zitate sind
einfach köstlich.
Im gesamten Buch findet der Leser eine Fülle von nützlichen Ideen, Anregungen und
praktischen Tipps. Eine wahre Fundgrube erstreckt sich z.B. von Seite 241-261. Dass diese
Dinge in Saddleback praktiziert werden, konnte ich sehen und erleben.
4. Sicht für Evangelisation, Tochtergemeinden und Weltmission
Die Saddleback-Gemeinde möchte in den nächsten 20 Jahren 200 Berufsmissionare
aussenden. Im Großraum Los Angeles wurden mehr als 30 Tochtergemeinden gegründet. Die
missionarische Leidenschaft und das Anliegen, Menschen für Christus zu gewinnen, sind
echt, ja sogar vorbildlich.
Es ist gegenüber den sporadischen Alibi-Evangelisation ein enormer Fortschritt, wenn in eine
Gemeindearbeit permanente Evangelisation integriert ist. Evangelisation und konsequente
Einführung in Jüngerschaft, Lehre, usw., sind in Saddleback feste Bestandteile des
Gemeindelebens.

through ministry, and larger through evangelism.
8 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 85-93
9 ebd. S. 327
10 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 334
Kirche mit Vision 4

5. Die Betonung der Dienstbereitschaft

Saddleback duldet kein Konsumentenchristentum. Warren und seine Mitarbeiter streben an,
möglichst viele Gläubige zu aktiven Dienern in der Gemeinde zu machen. Was er dazu auf
den Seiten 344-346 schreibt ist absolut lesenswert.
Ich weiß, dass ich mit dieser Aufzählung noch lange nicht alle positiven Aspekte behandelt
habe, die ohnehin von jedem Leser unterschiedlich bewertet werden. Zusammenfassend
möchte ich nochmals betonen, dass ich Kirche mit Vision durchaus zur Lektüre empfehle,
wenn der Leser mit einem am Wort Gottes geschulten Unterscheidungsvermögen herangeht.

II. Warum Kritik?

„Weissagungen verachtet nicht, prüft aber alles, das Gute haltet fest! Von aller Art des Bösen
haltet euch fern!“ (1Thess 5,20-22)

1. Das Negative wird in der Bibel nicht verschwiegen

Ich bin sicher, einige Leser wünschten, dass meine Stellungnahme hier zu Ende wäre.
Nachdem ich einmal öffentlich eine kritische Anmerkung zu einem anderen
Gemeindebaukonzept gemacht hatte, schrieb mir ein junger Theologe, Paulus hätte die
Thessalonicher lediglich aufgefordert, alles zu prüfen und das Gute zu behalten. Er hätte nicht
verlangt, auch das Negative zu erwähnen. Diese Sicht scheint mir symptomatisch für die
heutige Zeit zu sein. Die Philosophie der Toleranz möchte alles stehen lassen. Keine Kritik
mehr. Und vor allem keine Abgrenzung. Wer hingegen das Neue Testament aufmerksam liest,
der stellt fest, dass sowohl Jesus Christus als auch die Apostel sehr oft Kritik und Abgrenzung
geübt haben (Mt 16,11-12; Mt 23; 1Kor 15,12; 2Kor 11,1-4; 3Joh. 9-10; etc.). Paulus wies
Petrus sogar öffentlich zurecht, als es um „die Wahrheit des Evangeliums“ ging (Gal 2,14).

2. Kein Gefallen am Aufdecken der Fehler

Noch etwas möchte ich an dieser Stelle betonen. Ich habe kein Gefallen am Aufdecken der
Fehler und Schwächen anderer. Mir wäre es lieber, ich könnte hier schließen. Aber gerade
weil Saddleback einen solchen Einfluss auf viele Gemeinden in aller Welt ausübt, wie
vielleicht kaum eine einzelne Gemeinde zuvor in der Geschichte, darum muss sich Rick
Warren mit seinem Konzept an den Maßstäben der Heiligen Schrift messen lassen. Es geht
letztlich um die Wahrheiten des Evangeliums und des neutestamentlichen Gemeindebaus.
Man würde natürlich ebenso Fehler und Mängel finden, wenn man beispielsweise die
Gemeinde, zu der ich gehöre, genau unter die Lupe nähme. Diese Gemeinde hat zwar keinen
weltweit prägenden Einfluss; dennoch würde ich mich freuen, wenn uns jemand in
aufrichtiger Haltung auf ungute Dinge in unserer Gemeinde aufmerksam macht. Aufrichtige
Ermahnung hilft letztlich mehr als Schmeichelei. Unsere Verantwortung liegt darin, die
Wahrheit in einer demütigen Haltung und mit dem Ziel der Hilfe zu sagen. Wahrheit zu
unterdrücken hilft letztlich niemanden. Wahrheit muss Wahrheit bleiben, selbst wenn sie
gegen uns spricht.
Ich habe nichts dagegen, dass Rick Warren im Saddlebacktal Gemeinde so baut, wie er es tut.
Ich nehme ihm ab, dass er es aus Überzeugung tut und Gott gefallen möchte. Ich bin auch
bereit, von ihm zu lernen. Ich habe viele Passagen seines Buches positiv angestrichen. Aber
ich kann nicht schweigen, wenn sein Modell als das neue Heilmittel für alle Gemeinden
weltweit angepriesen wird. Sein "Medikament" hat mir zu starke "Nebenwirkungen".

III. „Risiken und Nebenwirkungen“

1. Der alles beherrschende Pragmatismus

Rick Warren ist ein Meister des Pragmatismus. Als Pragmatismus wird eine Haltung
bezeichnet, die das tut und bevorzugt, was funktioniert. Der chinesische Staatsmann Deng
Xiao Ping definierte Pragmatismus einmal auf originelle Weise: „Es spielt keine Rolle, ob
eine Katze schwarz oder weiß ist. Wenn sie Mäuse fängt, ist es eine gute Katze!“
Pragmatismus ist also die Einstellung, Dinge nicht nach übergeordneten Prinzipien zu
beurteilen, sondern lediglich nach ihrer Funktionalität. Pragmatismus ist
Zweckmäßigkeitsdenken.11 Genau hier liegt meine Hauptkritik an Warrens Konzept.

a) Die offensichtliche Geringschätzung biblischer Lehre
Auch wenn Rick Warren wiederholt erwähnt, dass er Bibelstudium für wichtig hält, so
schwächt er diese Aussage gleich wieder mit der Feststellung ab, dass Lehre ohne Praxis
fruchtleer bleibt. Unter der Überschrift „Reifemythos Nr. 6: Man braucht nur Bibelstudium,
um zu wachsen“ bringt er einige ungeheuerliche Behauptungen:
„Das Letzte, was viele Christen nötig haben, ist, einen weiteren Bibelkurs zu besuchen. Sie
wissen bereits mehr, als sie in die Praxis umsetzen.“12 Nach dieser Philosophie müsste man
Bibellehre fast völlig sein lassen, denn nahezu alle Christen auf der Welt wissen bereits mehr
als sie in ihrem praktischen Alltagsleben umsetzen können. Außerdem vergisst Warren, dass
11 Eine ausgezeichnete Definition und Darstellung des heutigen Pragmatismus’ findet sich im Vorwort von
John MacArthurs Buch: Wenn Salz kraftlos wird, CLV Bielefeld 1996, S. 12-17
12 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 321
Kirche mit Vision 6
es auch „informative Lehre“ gibt, die dazu dient, verstehen und erklären zu können, warum
beispielsweise die Hauptlehre der römisch-katholischen Kirche falsch ist.
„Ich halte es für einen Fehler, anzunehmen, dass alleine die Beschäftigung mit der Bibel Reife
hervorbringen wird.“13 Hier schießt Warren m.E. einen Strohmann ab. Mir ist auch in
Amerika noch nie ein Christ begegnet, der das behauptet hätte. Vielmehr offenbaren solche
Aussagen in Kirche mit Vision die zugrundeliegende Philosophie des Pragmatismus.

b) Die viel zu schwach ausgeprägte „Lehre von der Gemeinde“ (Ekklesiologie)
Dr. Warren baut seine „Ekklesiologie“ letztlich auf zwei Bibelstellen: „Du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen ...“ (Mt 22,37-40) und „Darum geht zu allen Völkern,
und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; ...“ (Mt 28,19-20).14 Daraus leitet der Autor
fünf Aufträge für eine „auftragsbestimmte“ Gemeinde ab („The Purpose-driven Church“ ist
der amerikanische Originaltitel des Buches). Diese fünf Aufträge sind zwar keineswegs falsch,
aber sie sind lediglich ein kleiner Ausschnitt aus der gesamten neutestamentlichen Lehre über
die Gemeinde. Deutlich gesagt handelt es sich hier um einen unzulässigen Reduktionismus. In
Kirche mit Vision fehlt leider eine neutestamentliche Definition und Auftragsbestimmung der
Gemeinde. Das ist für den „Intel-Chip des Gemeindeaufbaus“, wie Rick Warren sein Buch
nannte,15 eigentlich ein unverzeihlicher Mangel.

c) Das Fehlen einer heilsgeschichtlichen Gesamtschau
Dieser Punkt berührt ein hermeneutisches Problem. „Hermeneutik“ ist die Lehre vom
Verstehen und Auslegen der Heiligen Schrift. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass die
Bibel heilsgeschichtlich verstanden werden will. Ohne dabei in einen extremen
Dispensationalismus16 zu verfallen, kann man in der Schrift leicht die verschiedenen
Haushaltungen des Gesetzes (Volk Israel) und der Gnade (Gemeinde Jesu Christi) erkennen.
Dr. Warren scheint dieses Auslegungsprinzip völlig fremd zu sein. In Kap. 12 – das ich
schlichtweg für eine Katastrophe halte – führt er aus, wie Christus Menschen anzog. Dabei
erwähnt er mit keiner Silbe, dass der Dienst Jesu von zwei ganz verschiedenen Phasen
gekennzeichnet war. Im ersten Teil proklamierte der Heiland den Anbruch des Reiches Gottes
(Mt 4-11). Dann wurde er von der Führung Israels definitiv als Messias abgelehnt (Mt 12).

13 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 321
14 ebd. S. 100
15 ebd. S. 10
16 Als Dispensationalismus bezeichnet man in der Theologie die Lehre von den verschiedenen Haushaltungen
Gottes. Viele bibeltreue Ausleger ( wie z.B.Scofield) sehen in der Schrift sieben verschiedene Heilszeiten.

Daraufhin begann die zweite Phase seines Dienstes mit dem Schwerpunkt der
Jüngerbelehrung (ab Mt 13). Warum erwähnt Dr. Warren nicht, dass Christus die Mengen
hauptsächlich in der Reich-Gottes-Phase anzog? Als der Sohn Gottes vom Kreuz und vom
Preis der Nachfolge predigte, blieben von der großen Masse nur noch wenige übrig (Joh 6,66-
69). Wo zog Paulus, unser besonderes Vorbild im Gemeindebau, die Massen an? Und wo
taten es nach der anfänglichen Gunst-Phase (Apg 2-6) die anderen Apostel? Den Korinthern
muss Paulus schreiben: „Denn mir scheint, dass Gott uns, die Apostel, als die Letzten
hingestellt hat, wie zum Tod bestimmt; denn wir sind der Welt ein Schauspiel geworden,
sowohl Engeln als Menschen“ (1Kor 4,9).

Mit Verlaub gesagt, es ist in den Staaten für einen begabten Evangelisten nicht sonderlich
schwer, eine größere Zahl von Menschen anzuziehen; vor allem dann, wenn das Programm so
auf die Zielgruppe maßgeschneidert wird wie in Saddleback oder Willow Creek. Aber wenn
Warren in diesem Kapitel 12 suggeriert, dass doch eigentlich viele (alle) Gemeindegründer zu
großen Mengen predigen könnten, wenn sie es nur richtig anpacken würden, dann hat er den
Boden der Bibel verlassen.

d) Frauenlehre in Saddleback

Im Kapitel über Gemeindeaufbau lässt Dr. Warren den Leser wissen, dass der in Saddleback
verwendete Kurs in systematischer Theologie von seiner Frau Kay und Pastor Tom Holladay
geschrieben wurde.17 Das ist handfester Pragmatismus. Wie in sehr vielen Gemeinden
weltweit wird auch in Saddleback der Zirkel nicht bei klaren biblischen Anweisungen
eingestochen, sondern bei der Begabung: Wenn eine Frau die Gabe hat, soll sie lehren; wenn
sie die Gabe der Leitung hat, soll sie leiten; usw. Gott gibt auch Frauen die Gabe der Lehre
oder der Leitung – aber er bestimmt im Neuen Testament den Rahmen, in dem sie eingesetzt
werden sollen. Der Pragmatismus hingegen interpretiert Schriftstellen wie 1Tim 2,12 als
„zeit- und kulturbedingt“ um.

e) „Gottesdienste“ für suchende Menschen

Warren hält „Gottesdienste für Suchende“ für das geniale Konzept der Evangelisation. Der
Pragmatiker hat mit diesem Stilmittel keine Probleme. Großzügig wie er nun einmal mit der
Schrift umgeht, rechtfertigt er seinen Ansatz mit den Aussprüchen Jesu „Kommt und seht!“
17 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 332
(Joh 1,39) und „Kommt alle zu mir ...“ (Mt 11,28).18 Allerdings übersieht er dabei, dass
Christus die Ungläubigen zu sich eingeladen hat, und nicht in die Zusammenkünfte der
neutestamentlichen Gemeinde! Das ist ein großer Unterschied.
Wer sich hingegen strikt an die Weisungen des Neuen Testaments halten möchte, wird
zurückhaltender sein. Wo steht in den Lehrbriefen des Neuen Testaments geschrieben, dass
wir Ungläubige in unsere „Gottesdienste“ einladen sollen? Das Zusammenkommen der
örtlichen Gemeinde hat nach der Schrift den Zweck der Anbetung Gottes, der Erbauung der
Gläubigen, sowie deren Zurüstung zum Dienst. Nirgendwo werden wir aufgefordert, den
„Gottesdienst“ zu einer Evangelisationsveranstaltung umzufunktionieren. In 1Kor 14,23 und
in Jak 2,1ff wird beispielhaft ausgeführt, was passieren könnte, wenn ... Aber wir werden
durch diese Stellen nicht angehalten, das Programm und die Verkündigung auf Suchende
auszurichten. Uns bieten sich außerhalb der Gemeindezusammenkunft ungezählte gute
Möglichkeiten zum Evangelisieren. Warum sollten wir es gegen den neutestamentlichen
Grundsatz im „Gottesdienst“ praktizieren? Wenn wir es dennoch tun, treibt uns nicht die
Heilige Schrift, sondern Pragmatismus. Wir machen quasi aus dem „Heiligtum“ einen
„Vorhof“.19

Der bekannte Bibelausleger John MacArthur weist darauf hin, dass nach dem Tod von
Ananias und Saphira große Furcht über alle kam, die es hörten (Apg 5,11). Er fährt fort:
„Nach Vers 13 wagten die Ungläubigen nicht, sich ihnen anzuschließen. Das steht in
diametralem Gegensatz zu der heute so beliebten Philosophie der Benutzerfreundlichkeit.
Anstatt die Leute zu ködern, indem man ihnen das Gefühl gibt, willkommen und sicher zu sein,
benutzte Gott die Angst, um sie draußen zu halten.“20
Nun argumentieren die Vertreter dieses Modells, der Sucher-Gottesdienst sei halt nur eine
evangelistische Veranstaltung unter einem anderen Namen. Der Gemeindegottesdienst fände
ja in der Wochenmitte statt. Tatsächlich versammeln sich die Gläubigen in Saddleback am
Mittwochabend. Dieser Sicht kann ich trotzdem nicht zustimmen. Einerseits wäre es immer
noch eine Aushöhlung des biblischen „Gottesdienstbegriffs“. Das Neue Testament beschreibt
das Zusammenkommen der Christen als eine Versammlung für Gläubige. In einer solchen
Zusammenkunft wird Gott angebetet, die Christen werden auferbaut und zugerüstet.21

18 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 222
19 Die Vertreter dieser Sichtweise werden auf S. 223 abschätzig als „Isolationslager“ bezeichnet.
20 MacArthur, John: Wenn Salz kraftlos wird, S. 66
21 Dr. Fruchtenbaum, Arnold in Gemeindegründung, KFG Rasdorf, Nr. 49, S. 4-11

Andererseits fürchte ich, dass die meisten Gemeinden in unserem Land, die
„besucherfreundliche Gottesdienste“ anbieten, lediglich sonntags evangelisieren, ohne für den
vollen, erforderlichen Ersatz an Lehre, Auferbauung und Zurüstung der Gläubigen zu sorgen.
Wiederum trägt der Pragmatismus zu einer Verflachung biblischen Gemeindelebens bei. Eine
Gemeinde braucht „gesunde Lehre“ zur Festigung des Glaubens und zur Verwurzelung im
Herrn (Apg 2,42; 11,26; etc.).
Ich weiß, wie Rick Warren über meine Sicht denken würde. Auf den Seiten 224+225 nennt er
Kritiker des besucherfreundlichen Ansatzes ganz pauschal „Pharisäer“ und „Pfeilschießer“.

f) Warrens pragmatischer Umgang mit weiteren Bibelaussagen

Es ist sehr bezeichnend, wie Rick Warren Bibelstellen aus dem Zusammenhang reißt und
„pragmatisch“ interpretiert (d.h. so, wie er es gerade braucht). Aus der Fülle nur ein paar
Kostproben:
Die völlige Ausrichtung auf die durch Marktforschung ermittelte Zielgruppe rechtfertigt Dr.
Warren mit Gal 2,7 und vor allem mit Mt 15,24: „Ich (Jesus) bin nur zu den verlorenen
Schafen des Hauses Israels gesandt.“ Dabei beschränkte sich der Dienst Christi auf das Volk
Israel, weil Gott das Evangelium erst nach der Verwerfung des Messias zu den Nationen
kommen lassen wollte (Röm 11). Wiederum offenbart der Autor mangelndes
heilsgeschichtliches Verständnis.
Im Kapitel über die Musikauswahl im Gottesdienst muss Psalm 40,4 herhalten, um die
angebliche Verbindung von (zeitgemäßer) Musik und Evangelisation zu belegen.22 „Er legte
mir ein neues Lied in den Mund ... Viele werden es sehen, sich in Ehrfurcht neigen und auf
den Herrn vertrauen.“ Der Autor lässt dabei außer Acht, dass gottesdienstliche Musik in
biblischer Zeit immer an die Adresse Gottes gerichtet wurde. Außerdem sagt David nicht:
viele werden es „hören“, sondern: viele werden es „sehen“ – nämlich, dass Gott ihn aus der
Grube des Verderbens heraufgeholt und seine Füße auf Felsen gestellt hat (Ps 40,3). Aber
solche exakte Auslegung würde Rick Warren wahrscheinlich in die „Klassenzimmer-
Gemeinden“ verweisen, die er in ungeheuerlich abschätziger Weise karikiert.23
Die Stelle aus Röm 9,20-21 „Wer bist du denn, dass du als Mensch mit Gott rechten willst?
Sagt etwa ein Werk zu dem, der es geschaffen hat: Warum hast du mich so gemacht?“, die im

22 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 262
23 ebd. S. 119

Textzusammenhang von der biblischen Erwählungslehre spricht, deutet Warren
„psychologisch“ auf das menschliche Persönlichkeitsprofil um.24
Im Kapitel über den auf Suchende ausgerichteten Gottesdienst muss 1Kor 14,40 dafür
herhalten, um die generalstabsmäßige Planung der Veranstaltungen zu rechtfertigen („Doch
alles soll in Anstand und Ordnung geschehen“). Es tut mir leid, aber ich kann mir beim besten
Willen nicht vorstellen, dass der Meistergemeindegründer Paulus seine Versammlungen zuvor
mit seinen Mitarbeitern bis in die Details plante und probte. Bei dem Apostel lag
offensichtlich ein anderes Verständnis vom Zusammenkommen der Gemeinde vor. Jene
Versammlungen waren auf den Herrn ausgerichtet. Und was Gott verherrlicht, das erbaut auch
den Menschen.

2. Der anthropozentrische Ansatz

In der Bibel steht Gott im Zentrum (theozentrisch) und nicht der Mensch (antropozentrisch).
Ebenso soll es in der neutestamentlichen Gemeinde sein (Eph 3,21). Diese Sicht war
Jahrhunderte lang unbestritten. Erst im 20. Jahrhundert, dem Zeitalter des Existenzialismus,
wagten es christliche Leiter, den Menschen mit seinen Bedürfnissen derartig in den
Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Die christliche Gemeinde ist vielerorts zu einer
psychologisierten „Bedürfnis-Befriedigungs-Anstalt“ degeneriert.

a) Warren macht keinen Hehl aus seiner „Marktstrategie“

Auf S. 213 verrät er dem Leser seine zugrunde liegende Philosophie: „Ein guter Verkäufer
weiß, dass man immer bei den Bedürfnissen des Kunden beginnt und nicht mit dem
Produkt.“25 Zwei Seiten weiter schreibt er: „Es wird ihnen dabei helfen, Gottes Willen für die
Predigt zu erkennen, wenn sie sich einfach die Bedürfnisse der Zuhörer überlegen.“26 Dass
Warren wirklich nach dieser Devise handelt, konnte ich mit meinen Begleitern an Ostern 2000
live miterleben. Er brachte es fertig, selbst eine der „großen Taten Gottes“ völlig
anthropozentrisch auszulegen (nach dem Motto: Was bringt uns die Auferstehung für unser
Alltagsleben?). Aber solche Predigtinhalte passen haargenau zur Grundeinstellung des
Predigers. In einem Abschnitt, in dem es um die Bedürfnisse der Menschen geht, schreibt er:
„Es ist meine tiefe Überzeugung, dass jeder Mensch für Christus gewonnen werden kann,
wenn Sie den Schlüssel zu seinem Herzen finden ... Aber der wahrscheinlichste Punkt, an dem

24 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 351-352
25 ebd. 213
26 ebd. S. 215

man ansetzen sollte, sind die Nöte der Person, die man herausspüren konnte.“27 Mich würde
interessieren, wie Dr. Warren diese Aussage mit der biblischen Lehre von der Erwählung in
Einklang bringen will (Joh 6,44; Röm 8,29-30; Eph 1,4-6; etc.).
Nach meiner Einschätzung steht Rick Warren mit vielen anderen Verkündigern in der Gefahr,
ein „eudämonistisches Evangelium“ zu verkündigen, d.h. eine Botschaft, die in erster Linie
die Glückssehnsucht des Menschen stillen möchte. Nach mehr als 20 Jahren Erfahrungen im
Dienst der Evangelisation weiß ich um das schwierige Ringen, wie viel Wahrheiten der
Nachfolge man einem noch nicht gläubigen Menschen zumuten soll. Eines ist jedoch klar.
Wer auch immer eine Komm-zu-Jesus-und-du-bist-glücklich-Botschaft predigt, der gibt ein
verkürztes Evangelium weiter. Wenn ein Zuhörer nur solche Verkündigung hört, wird er wohl
schwerlich zum echten Leben aus Gott gelangen.
Übrigens, der anthropozentrische Ansatz setzt sich später oft im Gemeindealltag fort. Ich las
von einer Gemeinde in den USA, die ihren Besuchern innerhalb eines Monates folgendes
Programm zur geistlichen Bereicherung anbot: einen Meditationsgottesdienst im Quäker-Stil,
einen Abendmahlsgottesdienst nach der Weise der Brüderversammlungen, einen
Heilungsgottesdienst im „charismatischen“ Stil, einen Gottesdienst für Suchende im Stil von
Willow Creek und eine Stille-Freizeit mit Fasten im Stil der Benediktinermönche. Zusätzlich
wurde noch zur Beteiligung an einer Demonstration zur Versöhnung der Rassen aufgerufen
und zum Besuch einer Kunstausstellung eingeladen, in der byzantinische Ikonen zu sehen
waren. Das ist der typische Anthropozentrismus der postmodernen Multioptionsgesellschaft!
Das ist Salat-Bar-Spiritualität!28 Verantwortliche Leiter sollten gut überlegen, ob sie diese
gesellschaftliche Tendenz in den Gemeinden fortsetzen und fördern wollen.

Fatal finde ich auch, wie Warren biblische Begriffe anthropozentrisch füllt. Das tut er sogar
mit der „Anbetung“, die doch wirklich den HERRN im Mittelpunkt haben sollte: „Anbetung
hilft Ihnen, sich auf Gott auszurichten. Dadurch werden Sie geistlich und emotional auf die
vor Ihnen liegende Woche vorbereitet.“29 Oder: „Es ist ein biblisches Gebot, uns in unserem
Lobpreis auf Suchende einzustellen.“30 Solche Sätze tun mir weh.

27 ebd. S. 208
28 Os Guinness: Dining with the devil, Baker Book House Grand Rapids MI, Seventh printing 1999, p. 85
29 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 295
30 ebd. S. 230

b) Warren predigt nur sehr verhalten über Sünde

Rick Warren setzt beim „Kunden“ an, und der Kunde mag keine schlechten Nachrichten. „Es
gibt genügend schlechte Nachrichten auf der Welt, deshalb sind das Letzte, was die Menschen
hören müssen, wenn sie in die Gemeinde kommen, noch mehr schlechte Nachrichten.“31
Dieser Satz könnte übrigens wortwörtlich von Robert (Bob) Schuller stammen. Warren hatte
dessen Buch „Ihre Gemeinde hat echte Möglichkeiten“ vor dem Start der Saddleback-
Gemeinde gelesen.32 Schuller wiederum hatte schon viele Jahre zuvor beschlossen, das böse
Wort mit „s“ („sin“ - „Sünde“) aus seinem Sprachgebrauch zu verbannen.
In dem Zusammenhang fiel mir auf, dass die „Lehre von der Sünde“ im Kurs über
systematische Theologie nicht vorkommt!33 Auch in der Osterpredigt 2000 nahm Warren das
Wort „Sünde“ nicht in den Mund. Da fragt man sich, wie sich an jenem Wochenende mehr als
1500 Leute bekehren konnten?34

Dr. Warren liefert selbst noch zwei weitere Beweise für seine oberflächliche
Evangelisationspraxis. Zum einen bemerkt er, dass sich „in jedem Mitgliedskurs Menschen für
Christus entscheiden.“35 Die Teilnehmer am Mitgliedschaftskurs hatten sich aber angeblich
schon zuvor bekehrt; sonst hätten sie nicht am Kurs teilnehmen dürfen. Und zum andern
schreibt er über das Bibelwissen der Neubekehrten in Saddleback: „Sie können nicht davon
ausgehen, dass ihre neuen Mitglieder irgendetwas über die Bibel wissen. Sie müssen bei Null
anfangen.“36 Ich bin versucht zu fragen, ob denn in den evangelistischen Predigten keine
biblischen Wahrheiten vermittelt wurden? Wenn dem so ist, dann ist die Evangelisation
einfach zu oberflächlich gewesen. Ich teile die Auffassung von R.C. Sproul, der folgenden
ursächlichen Zusammenhang beschreibt: „Das Versagen modernen Evangelisierens liegt in
dem mangelnden Verständnis der Heiligkeit Gottes begründet. Wenn das einmal verstanden
würde, gäbe es die Rede nicht mehr, dass sterbliche Menschen, die noch Feinde Christi sind,
aus ihrer eigenen Kraft und ihrem eigenen Wollen zu Christus kommen können.“37

Noch etwas. Wenn schon in der Evangelisationspraxis kaum über die Heiligkeit Gottes und
über Sünde gesprochen wird, setzt sich diese Haltung meistens auch im Gemeindeleben fort.
Diese Sorge deckt sich mit meinem persönlichen Eindruck von Saddleback. Es ist eine
„moderne“ Gemeinde. Sie liegt voll im Trend unserer Zeit. Mit Sicherheit versteht Rick

31 ebd. S. 213
32 ebd. S. 182
33 ebd. S. 333
34 Diese Zahl wurde am darauf folgenden Wochenmitte-Gottesdienst von Pastor Tom Holladay genannt.
35 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 298
36 ebd. S. 328

Warren Gemeinde nicht als „Kontrastgesellschaft“.38 Ein Bruch mit dem „Schema dieser
Welt“ (Röm 12,2) ist in Saddleback daher auch schwerlich auszumachen.
3. Die „Klerus-Laien-Unterscheidung“
Obwohl Rick Warren richtigerweise feststellt, dass die „Klerus-Laien-Unterscheidung“ aus
der römisch-katholischen Kirche kommt, so transportiert er diesen unbiblischen Gedanken
dennoch. Auch wenn das Wort „Klerus“ in seinem Buch nicht vorkommt, so ergibt es sich
doch aus dem Umstand, dass die Bezeichnungen „Laien“ oder Laienpastoren verwendet
werden.39 Auch wo die deutsche Ausgabe mit „ehrenamtlich“ übersetzt, steht im
amerikanischen Original „lay ministry“.40 Schade. Selbst wenn es die „Würdenträger“ gar
nicht wollen, so fördern sie doch allein durch die Verwendung solcher Titel wie „Pastor“ oder
„Prediger“ bereits die Einteilung der Gemeinde in zwei Klassen. Der Herr Jesus lehrte
hingegen: „... ihr alle aber seid Brüder“ (Mt 23,8).41

4. “Purpose Driven” – “Market Driven” – “Spirit Driven”?

Rick Warren nennt sein Konzept „purpose driven“ (auftragsorientiert). Er behauptet, „ein
neues Paradigma“ anzubieten.42 Ich gestehe ihm zu, dass in Saddleback wirklich stark
auftragsorientiert gearbeitet wird. Die vielbeschworene Balance zwischen Evangelisation,
Jüngerschaft, Dienst und Mission scheint dort in der Tat gelungen. Und es ist der Verdienst
Warrens, die Sicht für den Auftrag der Gemeinde neu auf den Leuchter gestellt zu haben.
Aber Saddleback arbeitet auch sehr stark „market driven“ (auf der Grundlage von
Marktforschung und demographischen Umfragen).43 Die Befürworter dieses Ansatzes
versichern unentwegt, dass die gewonnenen Forschungsergebnisse ihre Verkündigung nicht
kompromittieren würden. Ich kaufe ihnen das aber nicht ab. Das Programm der
Wochenendgottesdienste in Saddleback belegt meine Skepsis. Im Mittelpunkt der
Verkündigung steht der Mensch mit seinen ungestillten Bedürfnissen nach Liebe,

37 Dr. R. C. Sproul: Die Heiligkeit Gottes, Verlag der Francke-Buchhandlung Marburg 1989, S. 116
38 Lohfink, G.: Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?, Herder Verlag 1993, S. 143f zitiert bei Wetzel, Gabi:
Die Spannung zwischen bedürfnisorientierter und bibelorientierter Gemeinde (Hausarbeit der FTA, Gießen)
39 z.B. auf Seite 308 („Laienpastoren“) oder auf S. 343 („Laienmitarbeiter“)
40 Rick Warren: The Purpose Driven Church, Zondervan Publishing House, Grand Rapids MI, 1995, p. 148;
388, etc.
41 Damit es kein Missverständnis gibt: Ich kenne viele aufrichtige Brüder, die sich Prediger oder Pastor nennen,
und mit denen ich dennoch auf das Herzlichste verbunden bin.
42 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 82
43 siehe Kap. 9, S. 151-166

Anerkennung, Geborgenheit und Selbstwertgefühl. Darum sind die Predigten grundsätzlich
bedürfnisorientiert. David Potter gibt dazu folgende zentnerschwere Aussage zu Bedenken:
„Wenn Marketing erst mal eingeführt ist, dann lautet die Sorge nicht mehr “Wie finde ich eine
Zuhörerschaft für meine Botschaft?“, sondern „Wie finde ich eine Botschaft, die meine
Zuhörerschaft erhält?“44
Können wir uns das bei den Aposteln vorstellen? Wenn z.B. Paulus damals in Korinth eine
Umfrage gestartet hätte, dann wären mit Sicherheit Theaterstücke im „Gottesdienst“
gewünscht worden. Die Korinther liebten Theater über alles. Doch Paulus tat das nicht. Er
„köderte“ niemals seine Zuhörer mit Musik, Theater, Show, u.a.m., Und es gab bei Paulus
auch keine „Gästegottesdienste“. Jeder, der Umfragen veranstaltet, wird seine Inhalte danach
ausrichten – wenn nicht bewusst, dann unbewusst. Warum sonst müssen Rick Warrens
Ansprachen unbedingt „thematisch“ und „relevant“ sein?

Auslegungspredigten, in denen
biblische Texte wirklich gründlich ausgelegt werden, sind in Saddleback sehr selten.
Wenn uns schon etwas „treiben“ muss, dann sollte es der Heilige Geist sein (Röm 8,14). Der
wird dann auch dafür Sorge tragen, dass wir „geistliche Dinge auf geistliche Weise“
vermitteln (1Kor 2,2-5.10-13).

5. Wachstum, Zahlenfieber und Erfolgsdenken

a) Wachstum

Obwohl Rick Warren auf den Seiten 58-62 sehr gute Sätze über das Thema Wachstum sagt,
ist es interessant, wie er sich selbst das Wachstum der Saddleback-Gemeinde erklärt. Es
folgen einige Aussagen dazu unter der Überschrift: „Die Gemeindewachstumsbewegung lässt
grüßen“. „Erstens, es gibt mehr als einen Weg, um eine Gemeinde zum Wachstum zu
bringen.“45 „Es kommt zu einem explosionsartigen Wachstum, wenn der Typ von Menschen in
Ihrer Umgebung mit dem Typ von Menschen zusammenpasst, die bereits in der Gemeinde
sind, und wenn beide zu der Persönlichkeit des Pastors passen.“46 „Genauso wie eine
Entscheidung für das wichtigste Gebot und den Missionsauftrag eine große Gemeinde
wachsen lassen, ist das auch der Weg um einen „großen“ Christen heranwachsen zu
lassen.“47 „Binnen eines Jahres, nachdem wir entschieden hatten, was unser „Sound“ sein
sollte, explodierte das Wachstum in Saddleback.“48 „Es ist leicht, die Größe Ihrer Gemeinde
anwachsen zu lassen: Sie müssen einfach mehr Menschen dazu bewegen, die Gemeinde zu

44 Os Guinness: Dining with the devil, Baker Book House Grand Rapids MI, Seventh printing 1999, p. 78
45 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 63
46 ebd. S. 171
47 ebd. S. 313

besuchen!“49 „Nachdem wir diese Entscheidung getroffen haben (Anm.: die Gemeinde tut den
Dienst, und Pastor Warren ernährt die Gemeindeglieder mit guten Predigten), explodierte das
Wachstum in Saddleback.“50
Warum erklärt Dr. Warren das Wachstum von Saddleback mit solch menschlichen Gedanken?
Lehrt nicht die Schrift etwas anderes? „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber
hat das Wachstum gegeben (Hervorhebungen vom Autor). So ist weder der da pflanzt, etwas,
noch der da begießt, sondern Gott, der das Wachstum gibt“ (1Kor 3,6-7). Diesen Vers zitiert
Warren zwar51, aber er scheint selbst nicht so recht daran zu glauben.

b) Zahlenfieber

Saddleback ist eine gigantische Evangelisationsmaschinerie. Darum wird dort viel gezählt. An
jedem Wochenende zählt man fünfzehntausend Besucher. An Ostern 2000 sollen es gar
35.000 gewesen sein.
Wachsende Besucherzahlen werden in der Gemeindewachstumsbewegung – aus der
Saddleback hervorgegangen ist – grundsätzlich als Beweis interpretiert, dass „etwas
Aufregendes und Bedeutungsvolles geschieht“.52 Doch diese Betrachtungsweise ist sehr
kurzsichtig. Kenneson und Street schreiben dazu: „Viele Dinge wachsen, aber Wachstum an
sich ist keine Garantie, dass etwas „Aufregendes und Bedeutungsvolles“ geschieht. Wenn Sie
das bezweifeln, dann sprechen Sie mal mit jemandem, der an Krebs erkrankt ist.“53
Der amerikanische Autor Francis Schaeffer schreibt gewichtige Sätze gegen das Zahlenfieber:
„... Die Christen sind gefangen in der Sucht nach Größe. Das trifft besonders in Amerika zu ...
Wenn wir so denken, dann hören wir nur auf das alte, unbekehrte, egoistische ICH. Diese
Einstellung kommt aus der Welt. Sie ist für den Christen gefährlicher als fleischliche Freuden
oder Taten. Es ist das Fleisch.“54
Quantität garantiert niemals Qualität. Jemand drückte diese Einsicht auf originelle Weise aus:
„Selbst wenn bereits Milliarden von Hamburgern verkauft wurden, so muss das nicht
zwangsläufig heißen, dass ein Big Mac ein Good Mac ist.“55 Warren versucht zwar zu

48 ebd. S. 268
49 ebd. S. 237
50 ebd. S. 366
51 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 62
52 George Barna: Marketing the Church, NavPress Colorado Springs, CO 1988, p. 14
53 Philip D. Kenneson & James L. Street : Selling out the Church, Abingdon Press Nashville, TN 1997, p. 125
54 Francis A. Schaeffer: No little people, Downers Grove InterVarsity, 1974, p. 18
55 Os Guinness: Dining with the devil, Baker Book House Grand Rapids MI, Seventh printing 1999, p. 50

belegen, dass Qualität und Quantität kein „Entweder/Oder“ sein muss; doch für mich sind
seine Argumente nicht stichhaltig.56

c) Erfolgsdenken

Saddleback ist sehr erfolgreich. Dort entstand eine der größten Gemeinden der westlichen
Hemisphäre. Aber Erfolg ist in der Bibel kein Gradmesser. In 4 Mose 20 wird berichtet, dass
Mose zu dem Felsen in der Wüste reden sollte. Doch Mose schlug den Stein. Das hatte Jahre
zuvor schon einmal funktioniert (2Mo 17). Der Erfolg stellte sich ein. Obwohl Mose im
Ungehorsam handelte, floss das Wasser in Strömen. Der sichtbare Erfolg war da. Doch Mose
und Aaron durften nicht ins verheißene Land. Diese Passage warnt vor pragmatischem
Erfolgsdenken. „Hauptsache, es funktioniert“ ist eben kein Satz aus der Bibel. Allein die
Schrift ist die Norm. Das gilt in besonderer Weise für den Gemeindebau (1Kor 3,10). Gott ist
mehr an Heiligkeit interessiert als an Effektivität.
Abschließende Gedanken
Ich möchte zum dritten Mal betonen, dass ich Kirche mit Vision für lesenswert halte. Zum
einen um der im ersten Teil meiner Rezension erwähnten Punkte willen. Zum anderen ist es
immer hilfreich zu erfahren, wie andere ihren Gemeindebauansatz begründen und
beschreiben. Allerdings wünschte ich jedem Leser eine gehörige Portion
Unterscheidungsvermögen. Ich befürchte nämlich, dass die Pragmatismuswelle weiter über
die Gemeinden branden wird. Leider trägt Rick Warrens Buch maßgeblich dazu bei.
Den Intel-Chip für Gemeindebau hat der Autor mitnichten gefunden. Das, was Warren
darunter versteht, entdecken wir jedoch weiterhin allein im Neuen Testament. Hoffentlich
bleibt die Saddleback-Gemeinde vor einem Crash bewahrt. Denn selbst PCs mit „intel inside“
stürzen leider manchmal ab.

Literaturempfehlung

Kenneth C. Fleming: Biblische Prinzipien des Gemeindewachstums, Betanien Verlag
Bielefeld 2001
Os Guinness: Dining with the devil – The Megachurch Movement flirts With Modernity, Baker
Book House Grand Rapids MI, Seventh printing, 1999 (englisch)
Philip D. Kenneson & James L. Street : Selling out the Church – The Dangers of Church
Marketing, Abingdon Press Nashville TN, 1997 (englisch)
56 Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag Asslar 1998, S. 52-55
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