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Scientology mit Scientology bekämpfen


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Rolf

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Scientology mit Scientology bekämpfen





Mark Rathbun ist die Nummer zwei der Organisation. Dann steigt er aus, weil er die Gewalt nicht mehr erträgt. Ein Gespräch über die Klauen der "Church", die bis ins Weiße Haus reichen.
Hamburg –

Ein reuiger Sünder ist Mark Rathbun nicht. Er fühlt sich mehr wie Frankenstein, der ein Monster schuf, das er nicht mehr kontrollieren kann, sagt er. Er sieht mit Schrecken das Ergebnis.


Braun gebrannt sitzt der 54-Jährige in einem Hotel in Hamburg und erzählt von seiner Zeit bei Scientology. Mark Rathbun war einmal die Nummer zwei der Organisation, bis er vor sieben Jahren ausstieg. Jetzt ist er der größte Widersacher der Sekte und ihres Anführers David Miscavige. Er will, dass Schluss ist mit dem „Wahnsinn“. Auf seinem Internet-Blog ruft er dazu auf, eine Petition an die US-Regierung zu unterzeichnen: „Wir fordern, dass das Justizministerium unverzüglich eine Untersuchung der Aktivitäten der Church of Scientology beginnt.“


Anfang September war Mark Rathbun zu Besuch in Hamburg. Er kam, um öffentlich über Scientology zu reden. Um „auszupacken“, wie das Ursula Caberta nennt, die Hamburger Sektenbeauftragte, die ihn eingeladen hatte. Caberta war für Rathbun früher so etwas wie der Teufel persönlich. Wenn er sich jetzt mit ihr trifft, dann ist das, als ob der Lieblingssohn des Mafia-Paten zum obersten Staatsanwalt geht, um reinen Tisch zu machen. Einerseits.


Andererseits hat sich Mark Rathbun zwar vom „System Scientology“ gelöst, aber nicht von Scientology. Er sagt: „Ich bin und bleibe Scientologe.“ Er verdammt die Praxis, aber nicht die Ideologie des 1986 verstorbenen Sektengründers L. Ron Hubbard. Er ist ein Scientologe, der Scientology mit Scientology bekämpft. Ein befehlsgewohnter Mann, der umwerfend nett und ätzend arrogant sein kann. Einer, der von sich sagt: „Ich bin kein Opfer. Ich habe Dinge getan, die schlecht waren. Wer sich von mir geschädigt fühlt, soll kommen und mit mir reden. Viele haben das in den letzten zwei Jahren getan, und ich habe mich entschuldigt.“


Während der vier Tage in Deutschland hat Rathbun enthüllt, wie eine verhältnismäßig kleine extremistische Gruppe die Außenpolitik des mächtigsten Staates der Welt beeinflussen kann. „Wir haben ein Problem mit Deutschland gehabt“, sagt er, „und das haben wir in Washington geregelt – mit sehr viel Geld.“ Immer wieder gerät er beim Reden über die „Church“ unwillkürlich ins „Wir“. „Wir sind in der Lage, einem Politiker Zehntausende Dollar zu spenden, ohne dass auffällt, woher das Geld kommt. Der Trick ist: Hunderte von Scientologen zahlen auf das Konto ein. Niemand weiß, dass es Scientologen sind.“ Einsatz unbegrenzter Geldmittel – das ist der Schlüssel zu allem, sagt Rathbun.


Lobbyismus und Geld


Er kann genau erklären, wie Scientology die Clinton-Regierung dazu brachte, im Ausland für sie Partei zu ergreifen. Vor allem in Deutschland, wo die Sekte seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet wird und mehr als einmal über ein Verbot diskutiert wurde. Plötzlich wurde Scientology Gesprächsthema bei deutsch-amerikanischen Regierungstreffen. Bis heute kritisiert das State Department die angebliche Diskriminierung von Scientologen in Deutschland. „Über die US-Konsulate wird Druck auf deutsche Politiker ausgeübt, um Kritiker zum Schweigen zu bringen“, sagt Mark Rathbun. Wie das geht? „Mit Lobbyismus.“


Als Scharnier zur US-Politik sicherte sich Scientology schon Ende der Achtzigerjahre die Dienste der bedeutendsten Washingtoner Anwalts-Kanzlei, Williams & Connolly. „Diese Kanzlei hat Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre vertreten. Sie vertritt Tony Blair, Dick Cheney, Barack Obama. Alle Fäden laufen dort zusammen“, sagt Rathbun. „Gewaltige Summen sind geflossen.“ Und er verrät, wie reich Scientology wirklich ist: rund drei Milliarden Dollar. Knapp eine Milliarde in der Kriegskasse. „Clinton brauchte Geld für seine Stiftung“, sagt Mark Rathbun. „Also hat er es gekriegt.“


Die Lobbyarbeit der Sekte profitiert auch von ihren Hollywood-Stars. Tom Cruise habe Bill Clintons Telefonnummer gehabt und ihn mehrfach wegen Scientology angerufen, sagt Rathbun. „Ich saß neben ihm, als er mit Clinton telefonierte. Er traf sich auch mit Präsident Bushs Vizeaußenminister Armitage.“ Rathbun sagt, die Prominenten öffneten in Washington viele Türen, weil jeder sich gern mit ihnen zeige. „Scientology schickte die Schauspielerin Ann Archer ins Oval Office, um Clinton zu sagen, dass die Nazis in Deutschland stärker werden. Die Fox-News-Moderatorin Greta van Susteren hat die halbe Clinton-Administration in Sachen Scientology-Diskriminierung in Deutschland instruiert.“ John Travolta hätte ohnehin eine „direkte Kommunikationsleitung“ ins Weiße Haus gehabt. Und das Ergebnis? „Die Kritiker wurden leiser, ein Verbot kam nie zustande.“


Es war die Zeit, als David Miscavige 5.000 Scientologen in Los Angeles zurief: „Die Macht unserer Gruppe ist größer, als ihr es euch überhaupt vorstellen könnt!“ Rathbun sagt: „Wenn man sich anguckt, wer heute in den Kernressorts der Obama-Regierung das Sagen hat, so sind es wieder die gleichen Leute, in die die Church 15 bis 20 Jahre lang investiert hat.“


Noch nie in der Geschichte von Scientology hat ein Abweichler die Sektenverbindung ins Weiße Haus so detailliert bezeugt. Es hat auch noch nie einen gegeben, der die Interna so gut kannte. Mark „Marty“ Rathbun kam 1977 als junger Mann zu Scientology und blieb 27 Jahre, die meiste Zeit davon im innersten Führungszirkel. Miscavige vertraute ihm uneingeschränkt und machte ihn 1986 zum „Inspector General for Ethics“, dafür zuständig, „Probleme zu bereinigen“. Rathbun leitete Schmutzkampagnen gegen Kritiker ein und ließ prominente Abweichler fertigmachen. Er hat eingeräumt, dass er Beweismittel vernichtete, die Scientology gefährlich werden konnten. Er sagt: „Wenn du wissen willst, wie Scientology funktioniert, guck dir den ,Paten’ Teil eins und Teil zwei an.“


Beim größten Coup seiner Laufbahn besteht Rathbun allerdings darauf, dass alles legal gelaufen sei. 1993 wurde Scientology in den USA von der Steuer befreit. Vorher galt sie auch in Amerika als verrückte und gefährliche Sekte – und plötzlich war sie gemeinnützig, was ihr Hunderte Millionen Dollar ersparte und einen Zustand fast vollständiger Immunität einbrachte. Das Ziel sei mit „Unsummen von Geld“ erreicht worden, sagt Rathbun. „Wir haben in Archiven nach Verfehlungen der Finanzbeamten gesucht. Dann brachten wir rund 2700 Klagen ein und legten die Steuerbehörde lahm – das zwang sie an den Verhandlungstisch.“


Wegen seiner unbedingten Loyalität galt Mark Rathbun als „bester Leutnant“ des Scientology-Generals Miscavige. „Wenn irgendwas zu regeln war, hieß es: Marty, mach du mal.“ Rathbun kennt die tiefsten Geheimnisse, und Rathbun hat noch immer viele Freunde in der Sekte. Er war nicht nur ihr Vollstrecker, sondern galt auch als herausragender „Auditor“ für Hubbards hypnoseähnliches „Auditing“, das Kernstück der Scientology-Bewusstseinskontrolle. „Ich habe praktisch alle unsere VIPs auditiert: Tom Cruise, Kirstie Alley, Lisa Marie Presley, Isaac Hayes, John Travolta.“ Deshalb lehnen ihn selbst hoch indoktrinierte Scientologen nicht von vornherein ab. Er spricht ihre Sprache. Er versteht ihre Furcht vor der Außenwelt. Er sagt, dass viele Scientologen die teure „Brücke zur totalen Freiheit“ satthätten. Dass sie aber eine Brücke nach draußen suchten, die ihnen die Trennung ermögliche.


Seit er sich gegen den Sektendiktator wendet, hat Rathbun es mit denselben Methoden zu tun gekriegt, die er selbst einst anwandte. Sein Auftritt in Hamburg war begleitet von Scientology-Störmanövern. Der deutsche Scientology-Sprecher Jürg Stettler griff ihn an: Rathbun sei ein „Münchhausen“, der 2002 wegen „zahlreicher und weitreichender Verfehlungen innerhalb der Scientology-Kirche von allen Ämtern enthoben“ worden sei. Damit sind andere Vergehen gemeint, als jene, über die er eigentlich Bescheid weiß, aber nicht redet. Befohlene Selbstmorde? „Hat es nicht gegeben.“ Seltsame Todesfälle? „Wo sind die Beweise?“ „Dafür war ich nicht zuständig“, sagt er oft. Er muss befürchten, dass alles, was er sagt, auf ihn selbst zurückfällt.


Die Polizei hätte ihn in Deutschland festnehmen können. Stattdessen wurde er von Scientology-Detektiven beschattet. „Wie von der Stasi“, sagt er und lacht nervös. Er hat die Detektive gefilmt und die Videos auf seinem Blog veröffentlicht – markrathbun.wordpress.com ist seine Waffe im Feldzug, den er seit zwei Jahren gegen die Church führt. Mehr als vier Millionen Besucher hat er gezählt. Das macht der Scientology-Führung Angst. „Die Leute lesen den Blog, weil ich Hubbard nicht angreife“, sagt er. Das gibt ihm die Chance, jene zu erreichen, die in der Blase leben, die eine Sekte bedeutet – und die sie abschirmt von Kritik und Medien. Mark Rathbun ruft ihnen zu: „Ihr braucht keine Organisation. Ihr braucht keine Gehirnwäsche. Ihr könnt Scientology mit viel weniger Geld betreiben.“


Gefangengehalten in der kalifornischen Wüste


Dabei wollte sich Rathbun, als er im Dezember 2004 ausstieg, einfach nur wegducken. Er hatte genug vom Terror in der Scientology-Führung. Er spricht von ungezügelter Gewalt und einem Umgangston wie bei einer Vorstadt-Gang. Davon, wie David Miscavige seine engsten Mitarbeiter anbrüllt, verprügelt und würgt. Wie er 80 Manager, praktisch das gesamte obere Management, seit Jahren in einer Baracke im „Internationalen Hauptquartier“ in der kalifornischen Wüste gefangen hält. „Sie müssen auf dem Fußboden schlafen und immer wieder vor allen anderen ihre Verbrechen gestehen. Weil Miscavige sie zu Feinden erklärt hat.“ Einmal meldete sich die Polizei, da schrieben die Gefangenen eidesstattliche Versicherungen: „Wir sind gerne hier. Es geht uns gut. Wir lieben David Miscavige.“ Scientology bestreitet diese Vorwürfe.


Von dem Gefängnis in der Wüste berichten indessen auch andere Abweichler. Dort gehe es zu wie in einem chinesischen Umerziehungslager, bestätigt Mark Headley, ein früherer Scientology-Manager aus Denver, der 2005 ausstieg und es vorher mit Rathbun zu tun bekam. „Ich wurde dort eingesperrt und sollte etwas gestehen, das einfach nicht stimmte. Rathbun verhörte mich stundenlang. Dann ging er mit mir vor die Tür und schlug mir mit aller Kraft in den Magen. Er fragte: Gestehst du jetzt? Und ich sagte immer noch: Nein.“ Headley flüchtete kurz darauf mit einem Motorrad.


Rathbun erzählt seine Fluchtgeschichte: „Ich musste meine engsten Mitarbeiter zusammenschlagen. Als Miscavige mir befahl, anzusehen, wie er meinen Freund Tom de Vocht misshandelte, ertrug ich es nicht, ging raus, setzte mich auf mein Motorrad und fuhr davon.“


Drei Jahre lebte Rathbun im Verborgenen, bis ihm andere Aussteiger erzählten, dass alles immer schlimmer wurde. „Deshalb habe ich mich Mitte 2009 an die Medien gewandt. Ich hatte Angst, dass Scientology in einem Blutbad endet. Mein Alptraum: Miscavige befiehlt die letzten tausend Scientologen in die Wüstenbasis und lässt seine Garde dann mit Maschinengewehren alle niedermähen. Er ist ein Soziopath, er will die Herrschaft oder den Untergang.“


Seit April werden Rathbun, seine Frau und ihre Besucher in ihrem Haus an der texanischen Golfküste von bis zu acht Scientology-Agenten rund um die Uhr observiert, gefilmt, geschmäht. Es sind Methoden, wie sie Rathbun einst selbst entwickelt hat. „Sie wollen, dass ich ausflippe“, sagt er. „Natürlich habe ich Angst.“ Es hat einen Anschlag auf ihn gegeben. Doch Rathbun ist ein harter Knochen. „Niemals verteidigen – immer angreifen“, den Leitspruch Hubbards wendet er gegen die Hubbardisten. Er hat Zuträger überall, wo es Scientologen gibt. Er knüpft ein Netzwerk.


Paradoxes Verhältnis zu Scientology


In Hamburg hat sich Rathbun dargestellt als größter Feind von Scientology – und als ihr größter Bewahrer. Scientology sei gut, es sei nur von Miscavige verdorben worden, hat er gesagt. Er benutzte den Begriff „Kirche“ für eine Organisation, die in Deutschland als faschistoid gilt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Ex-Scientologen auditiert und davon lebt. Vor allem sein Bekenntnis zu Hubbard hat viele irritiert. Schon im Vorfeld hatte es Ärger gegeben – wie könne Caberta einem aktiven Scientologen ein Forum bieten? „Ich will, dass das System und Miscavige stürzen“, sagt Caberta. Es ist ein Drahtseilakt.


Im Internet unterstellen manche dem Aussteiger, er wolle eine eigene Kirche gründen. Wie eine Art „Martin Luther von Scientology“. Er selbst sagt, er wolle nichts von der Church. Nicht ihre Methoden, nicht ihre Immobilien, nicht ihr Geld. „Es sollte den Opfern der Scientology gegeben werden.“


Am letzten Tag in Hamburg hat Rathbun zwei Dutzend Ex-Scientologen aus Europa um sich versammelt. Es ist ein Versöhnungstreffen. Die Ehemaligen drängen sich um ihn. Währenddessen erodiert der Konzern. Auf gerade noch 20.000 Menschen schätzt Rathbun den harten Kern. „Ich gebe der Church noch drei Jahre“, sagt er. „Aber das Counselling wird bleiben. Kleine Gruppen, die die Technologie trainieren. Scientology ohne die Church.“ Es ist seine persönliche Tragik, nichts anderes gelernt zu haben als Scientology. Deshalb weicht er Fragen nach dem menschlichen Wert der Ideologie aus. War es nicht Hubbard selbst, der Menschen foltern und sie wochenlang einsperren ließ? Der befahl, Abweichler „zu vernichten“? Ist Miscavige nicht Hubbards Ziehsohn? Rathbun bricht das Gespräch ab. „Ich bin für L. Ron Hubbard!“, ruft er. Ich werde ihn verteidigen bis zum Tod!“


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