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"Hier, an der Odenwaldschule, ist alles erlaubt."


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Rolf

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Reformpädagoge Gerold Becker: "Hier, an der Odenwaldschule, ist alles erlaubt."






ARD-Doku "Geschlossene Gesellschaft" zeigt auf: sexuelle Übergriffe, gebrochene Biographien, Suizidtote, jahrzehntelanges Schweigen, Flucht aus der Verantwortung und Leugnung von Schuld an Vorzeigeschule


(MEDRUM) Elf Menschen, ehemalige Schüler der Odenwaldschule, die Selbstmord begangen haben, waren zuvor Opfer der sexuellen Gewalt im Umfeld von Gerold Becker, dem ehemaligen Leiter der Odenwaldschule geworden. Seine Devise als Schulleiter und einst gefeierter Vertreter der Reformpädagogik: Hier ist alles erlaubt. Die Devise anderer Vertreter dieser Schule lautete offenbar: Hier wird geschwiegen. Die am 9. August ausgestrahlte ARD-Dokumentation "Geschlossene Gesellschaft" von Luzia Schmid & Regina Schilling zeigt schonungslos auf, in welche Abgründe dies geführt hat: gebrochene Biographien und Tote auf der Seite der Schüler, aber auf der Seite der Verantwortlichen und Täter niemand, der dafür zur Rechenschaft gezogen wurde und Wiedergutmachung geleistet hat.

Zu Beginn der Dokumentation kommt ein ehemaliger Schüler zu Wort. Er berichtet über die Ohnmacht, die er erlebte, als er das kriminelle Geschehen an der Odenwaldschule aufklären lassen wollte. Er stand einer verschlossenen und schweigsamen Schar von Personen gegenüber, deren Integrität und Verantwortungsbewußtsein in einem krassen Mißverhältnis zu ihren proklamierten Idealen und ihrer Reputation standen. Der ehemalige Schüler dazu:

"So war es 1997 auch, als ich Becker anschrieb und ihn aufgefordert hab' zu seinen pädokriminellen Straftaten Stellung zu beziehen. So war es '98, als ich die Schule mit einem Freund zusammen angeschrieben habe und die Schule darüber in Kenntnis gesetzt hab', daß wir von Becker sexuell mißbraucht wurden. So war es '99, nachdem es uns gelungen war, die ganze Geschichte in die Frankfurter Rundschau zu bringen. So war es 2008, als ich Frau Kaufmann anschrieb und sie gefragt habe, wie möchte sie eigentlich mit der Vergangenheit der Schule auf dem Jubiläum umgehen, und Frau Kaufmann zunächst überhaupt keine Ahnung hatte, wovon wir reden. Ich hab' später einen Lehrer angesprochen, mit dem ich ein freundschaftliches Verhältnis hatte, und hab' gesagt: ‚Warum hast Du nie gefragt, warum hast Du nie gefragt, was ist Euch passiert?’ Und er hat keine Antwort geben können. Und ich hab' gesagt: "Kann es sein, daß man das nicht hören will? Und dann hab' ich ihm ungefragt erzählt, was ich erlebt hab', daß ich täglich von Becker angegangen wurde, daß ich nachts davon aufgewacht bin als 13-Jähriger - es stellt sich bitte jeder mal einen 13-jährigen Jungen vor, ... - daß ich nachts davon aufgewacht bin, daß Becker mir am Schwanz lutscht, ..., mir am Schwanz lutscht wie ein Berserker, daß ich dachte scheiße, der beißt mir den Schwanz ab. Das hättet Ihr gehört, wenn Ihr '97, '98, '99 gefragt hättet."


Der Brief des Schülers im Jahr 1998 ging an etwa 25 Lehrer der Odenwaldschule. Doch anstatt für Aufklärung zu sorgen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, wurde der Mantel des Schweigens über das sexuelle Übergriffsgeschehen ausgebreitet. Die Filmsprecherin: "Hätte man damals genau nachgefragt, wäre Gerold Becker vor Gericht gekommen. Was Jürgen Dehmens (Pseudonym) und anderen widerfahren ist, erfüllt den Tatbestand der Vergewaltigung und wäre nicht verjährt gewesen." Doch niemand habe sich der Frage der eigenen Mitverantwortung oder zumindest der Pflicht der Aufarbeitung stellen wollen.

Lucida Schmid, eine der beiden Filmautorinnen, ehemals selbst Schülerin an der Odenwaldschule und Sprecherin des Films über ihre Erkenntnisse:

"Was ich erfuhr, passte nicht zu meinem Bild der Odenwaldschule. ... Ich bin groß geworden mit dem stolzen Gefühl, daß diese Schule die beste Schule der Welt ist: selbstbewußt, modern, liberal und geadelt durch ihre Schüler, die von Weizsäckers, die Dönhoffs, die Porsches, die Unselds, und so weiter. Worauf dieser Stolz genau beruhte, wußte ich eigentlich selber nicht."

Entscheidend für den Ruf der Schule seien einflußreiche Personen und ihre Netzwerke gewesen, stellt der Film fest. Gerold Becker wurde zum Schützling von Helmut Becker, dem größter Einfluß auf die Reform der Pädagogik in der Nachkriegszeit zugemessen wird. Helmut Becker habe Gerold Becker zum Schulleiter der Odenwaldschule gemacht, obwohl er von homosexuellen Übergriffen Beckers auf einen Minderjährigen gewußt habe. Andere wußten zumindest von der homosexuellen Orientierung Beckers. Wolfgang Edelstein, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in den Jahren 1981-1997 dazu: "Ich wußte, daß er homosexuell war. Und wenn ich Vorbehalte gegen Becker hatte, dann wurden sie automatisch bei den Progressiven, zu denen ich ja auch gehörte, als: "Also hör mal, homophobe Neigungen, Du solltest Dich ja auch mal ein bißchen modernisieren."

Eine zweite Schlüsselperson sei Prof. Dr. Hartmut von Hentig, Direktor des Pädagogischen Seminars, gewesen. Gerold Becker habe ihn in Göttingen kennengelernt, erzählt Edelstein. Hartmut von Hentig sei in den 70ern der einflußreichste Pädagoge geworden, ein Hoffnungsträger für Politiker. Eine Filmszene zeigt von Hentig zusammen mit Richard von Weizsäcker und Gerold Becker. Und Gerold Becker und von Hentig wurden "ein Paar". Wie MEDRUM berichtete (Odenwaldschule und Humanistische Union - Blick auf Binnenverhältnisse) , gibt es zwischen Hartmut von Hentig und der Humanistischen Union, der auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger angehört, enge Verbindungen. Benita Daublebsky, ehemalige Mitarbeiterin und Vorstandsmitglied der Odenwaldschule bekennt: "Über seine Homosexualität haben wir gewußt. Das war ganz klar. Wir haben gewußt, daß er der Partner von Hentig ist. Mir war das auch nichts Neues. Äh, nur, daß das mit kleinen Buben was zu tun haben könnte, äh, dieses war einfach undenkbar."

Lucida Schmid kommentiert: "Für Helmut Becker war es nicht undenkbar. Denn sein eigener 14-jähriger Patensohn hatte ihm von sexuellen Übergriffen Gerold Beckers erzählt. Das hinderte Helmut Becker nicht daran, ihn zum Leiter der Odenwaldschule zu machen." Wolfgang Edelstein bestätigt dies: "Das ist ziemlich deutlich geworden aus den Zeugnissen, daß der Patensohn betroffen war und dies seinem Patenonkel berichtet hat - ich hab's nie erfahren - aber das bindet den Schuldknoten, wenn das der Fall ist, und das muß gewesen sein, ehe Gerold Becker Schulleiter wurde, hat Helmut Becker eine bestimmte Schuld. ... Ohne ihn wäre Gerold Becker nicht Schulleiter geworden. Das ist klar."

Björn Behrens, ein ehemaliger Schüler berichtet über den Auftritt Gerold Beckers vor den Schülern am ersten Schultag. Auf der Freilichtbühne saßen die Schüler, unten stand der Schulleiter Gerold Becker. In seiner Ansprache, so erinnert sich Behrens, betonte Gerold Becker: "Hier, an der Odenwaldschule, ist alles erlaubt." Die ARD-Dokumentation zeigt: Zum Erlaubten gehörten sexuelle Übergriffe auf Schüler ebenso wie der Genuß von Alkohol und Drogen. Lucida Schmid: "An der OSO wurde gesoffen, geraucht, gekifft und gevögelt. Und nach zwei Tagen hatte ich mich sogar an das gemeinsame Duschen gewöhnt."

Für seinen "radikal antiautoritären" Erziehungsansatz sei Gerold Becker bundesweit bewundert worden, so die Sprecherin Schmid weiter. Das Fatale sei jedoch gewesen, daß es keine höhere Beschwerdeinstanz gegeben habe. Der Schulleiter Becker habe auch im Vorstand gesessen und seine Vorstandskollegen hinter sich gewußt. Und weiter dazu: "Die Mischung aus Zeitgeist und fehlender Kontrolle ließ zusehends alle Grenzüberschreitungen zu." Die Erfahrungen des ehemaligen Schülers Behrens unterstreichen dies. Im Filminterview sagt er: "Und ich würd's auch heute unterschreiben, die Tatsache, daß sicherlich die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dieser Schule irgendwann, und wenn es nur einmalig war, mit einer Schülerin oder einem Schüler sexuellen Kontakt hatten." Ein ehemaliger Lehrer, der zugab, selbst solche sexuellen Kontakte mit einer Schülerin gehabt zu haben, weist den Begriff des Mißbrauchs für sich allerdings entschieden zurück. Er habe lediglich nicht die "professionelle Distanz" gewahrt.

Welche dramatischen Folgen die Grenzüberschreitungen im "reformpädagogischen" Geist der Odenwaldschule hatten, führt die ARD-Doku am Filmende mit der Einblendung folgenden Textes in erschütternder Weise vor Augen:

"Aus dem Abschlußbericht zweier unabhängiger Aufklärerinnen, der von der Odenwaldschule in Auftrag gegeben wurde:


Bis zum Dezember 2010 gingen 132 Meldungen zu Betroffenen ein.

Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher.

Insgesamt 18 Täter wurden genannt, darunter 4 ältere Schüler.

Niemand konnte juristisch belangt werden, die Straftaten sind verjährt.

Weiterhin verweist der Bericht auf 11 Suizide ehemaliger Schüler aus dem Umfeld von Gerold Becker."

Zürückblickend stellt einer der Verfasser des Briefes aus dem Jahr 1998 fest, nur eine einzige Person aus dem Kollegium habe sich damals hinter die mißbrauchten Schüler gestellt. Und dafür sei er aus dem Kollegium ausgegrenzt worden.

Die Schlüsselfigur Gerold Becker zeigte auch am Ende seines Lebens weder Reue noch bekannte er sich zu seiner Verantwortung und Schuld. Beim Besuch des ehemaligen Schülers Björn Behrens meinte er lächelnd zu ihm: "Ich habe eine gute Zeit gehabt."
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