Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Der Körper - Gefängnis der Seele oder Tempel des Geistes?


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34139 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!







Der Körper - Gefängnis der Seele oder Tempel des Geistes?





Von Andreas Ebert


Das Verhältnis von Christentum und Körperlichkeit ist verschlungen und verwirrend. Zunächst einmal: Die Bibel ist alles andere als ein leibfeindliches Buch. In Psalm 84,3 jubelt der Sänger: »Mein Leib und meine Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.« Das Hohelied Salomos schildert frei von jeder moralisierenden Bewertung die erotische Begegnung des jungen Königs mit der schönen Sulamith. Und das Neue Testament handelt von der »Fleischwerdung« Gottes in dem Menschen Jesus Christus.

Viele Menschen wissen oder ahnen, das Körperübungen zu innerer Entspannung und Klarheit führen können.


Jesus war kein Asket. Er hat zwar gefastet - aber auch gefeiert, gegessen und getrunken. Seine Versuchungen in der Wüste kreisten um Macht und Vertrauen und nicht um Leiblichkeit oder gar Sexualität. Paulus preist den Körper als Tempel des Heiligen Geistes (1. Korinther 6, 19). Der Timotheusbrief wettert gegen eine dualistische Leibfeindlichkeit, die Heirat und den Genuss gewisser Speisen verbietet: »Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts ist verwerflich, wenn es mit Dank genossen wird; es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch das Gebet« (1. Timotheus 4, 4-5). Auch der Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu und der Menschen setzt voraus, dass Leib und Seele eine untrennbare Einheit bilden und der Tod eben nicht zur Trennung von Körper und Seele, sondern zu einer Verwandlung in eine neue, verklärte Leiblichkeit führt.

Beste Voraussetzungen für eine unverkrampfte Bejahung der Leiblichkeit - und doch hat sich bald ein ganz anderes Denken in die Kirche eingeschlichen. Schon Paulus fördert eine gewisse Verwirrung, wenn er in seinen Briefen »Fleisch« und »Geist« unterscheidet. Mit Fleisch meint er allerdings nicht den Körper, sondern den gesamten Menschen, der in Gottferne existiert. Ebenso bezeichnet »Geist« den ganzen Menschen, der in und aus Gott lebt. Für den schlichten Leser ist das auf den ersten Blick allerdings nicht ersichtlich.

In der nachbiblischen Epoche aber geschah etwas wirklich Gravierendes: Die Philosphie Platons, insbesondere der Neu-Platonismus, und die sogenannte Gnosis beeinflussten die spätere christliche Theologie oft mehr als die Bibel. Sie sahen den Körper als Gefängnis der Seele, aus dem sie befreit werden muss. Das frühe Mönchtum der Wüstenväter trug ebenfalls stark asketische Züge und hatte häufig die »Abtötung« des Leibes zum Ziel, der als Gegenspieler des Geistes verstanden wurde. Augustinus sah insbesondere die sexuelle Begierde als Einfallstor der Sünde. Durch den Geschlechtsakt, der nur in der Ehe legitimiert ist, wird die Erbsünde gleichsam biologisch übertragen. Auch hier wird also der Körper und seine Bedürfnisse und Funktionen zum geistlichen Problem. Das dualistische Verständnis, dass Körper und Geist gleichsam Feinde sind, durchzieht fortan die gesamte Geschichte des Christentums.

In östlichen Religionen wurde - anders als im kirchlichen Christentum - uraltes Wissen um den Zusammenhang von Körper, Seele und Geist bewahrt und gepflegt. Spirituelle Übungen beginnen dort in der Regel mit dem Leib, insbesondere beim Yoga. Man beschreibt besondere energiegeladene Körperpunkte, die sogenannten Chakren. Je nach Sichtweise werden im Osten sieben oder sogar acht der Chakren als Hauptenergiezentren des Menschen angesehen und befinden sich nach der Chakrenlehre entlang der Wirbelsäule. Verschiedene Übungen regen diese Zentren an und lösen Verspannungen, so dass der »Geist«, die Lebenskraft (im chinesischen Denken das »Chi«), freier fließen kann. Im Tantrismus wird auch die Körpersprache der Erotik und Sexualität als Symbol der Vereinigung von Gott und Mensch gefeiert und gewürdigt.

Dennoch: Ganz ist die ursprüngliche körperfreundliche Einstellung auch im Christentum nie verloren gegangen. In den Heiligenviten wird immer wieder ausführlich dargestellt, in welcher Körperposition die Gottesmänner und -frauen gebetet haben. Dominikus, der Begründer des Dominikanerordens, hat neun Gebetshaltungen beschrieben, die - nacheinander ausgeführt - so ähnlich wirken wie eine methodische Abfolge von Yoga-Stellungen (den »Asanas«). Diese Haltungen heißen bei Dominikus »Tiefe Verneigung«, »Ausgestreckt auf der Erde«, »Erleiden«, »Stehen vor Gott« (die sogenannte Orante-Gebetshaltung mit ausgebreiteten Armen, die zum Beispiel in der »charismatischen Bewegung« wieder entdeckt wurde), »Hand in Hand mit Gott«, »Die Welt umarmen«, »Ausgestreckt in den Himmel«, »Sitzen vor Gott und schweigen«, »In Be-Weg-Ung«. Diese Haltungen wurden in der christlichen Kunst immer wieder dargestellt. Sie können auch unser Gebetsleben bereichern. Denn jede dieser Stellungen und Bewegungen aktiviert und unterstützt einen besonderen Aspekt der Gottesbeziehung. Die Körperhaltung und -übung unterstützt das Wirken des Heiligen Geistes im Menschen.

Viele Menschen unserer Zeit, die wenig oder gar nicht kirchlich gebunden sind, wissen oder ahnen, das Körperübungen zu innerer Entspannung und Klarheit führen können. Jogger erleben nach einer gewissen Zeit einen »Flow«: Der Kopf wird frei, emotionale Spannungen lösen sich. Fasten dient nicht nur der Entschlackung, sondern führt auch zu innerer Sammlung. So entsteht manchmal als Nebeneffekt auch eine Offenheit für die wesentlichen Fragen des Lebens, die immer auch religiös und spirituell sind.

Auch christliche Meditation beginnt mit dem Körper. Ein guter Sitz mit fester Gründung in der Erde, eine aufgerichtete Wirbelsäule, ein frei fließender Atem öffnen für die Begegnung mit Gott.

In der Lehrerzählung »Das Herzensgebet« erklärt ein alter Mönch auf dem Berg Athos einem jungen »verkopften« Studenten, er müsse erst lernen, zu beten wie ein Berg (guter Sitz), dann wie eine Mohnblume (Aufrichtung und Ausrichtung nach oben), dann wie das Meer (das Kommen und Gehen des Atems). Er sagt: »Die alten Mönche waren wirkliche Therapeuten… Bevor sie zur Erleuchtung führten, mussten sie die Natur heilen, sie bestens vorbereiten, damit sie die Gnade empfangen kann, die der Natur nicht widerspricht, sondern sie erneuert und vollendet... Berg, Mohn, Ozean..., Elemente der Natur, die den Menschen daran erinnern, dass er die verschiedenen Seinsebenen, die verschiedenen Bereiche, die den Makrokosmos bilden, erneut durchlaufen muss, bevor er weiter geht: die mineralische Ebene, die vegetative und animalische Ebene. Häufig hat der Mensch den Kontakt mit dem Kosmos, dem Felsen, den Tieren verloren. Die Folgen sind alle möglichen Beschwerden, Krankheiten, Ungeborgenheit, Angst. Er fühlt sich überflüssig, der Welt entfremdet.«

Leider ist gerade im Protestantismus das Wissen um den Zusammenhang von Körperhaltung und Gebet verloren gegangen. Beispielsweise in der Liturgie: Man kann erleben, dass die Gemeinde in der Osternacht zusammengekauert auf unbequemen Bänken sitzt und »Christ ist erstanden« singt. Diese Diskrepanz von Haltung und Inhalt ist bedenklich. In fast allen Kirchen außerhalb Deutschlands ist es üblich, dass die Gemeinde während des Singens steht, weil so der Atem viel freier fließen kann. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir neu darüber nachdenken würden, welche Körperhaltungen im Gottesdienst welchen Inhalten und Abläufen entsprechen. Im katholischen Gottesdienst sind durch das Hinknien und das Bekreuzigen wenigstens einige Elemente des Körpergebets erhalten geblieben. Auch das Pilgern erleben viele Menschen von heute als »Beten mit den Füßen«. Manche machen sich auf den Jakobsweg ohne bewusste spirituelle Absichten. Und dennoch erleben sie, dass durch die physische Bewegung seelische und geistliche Prozesse in Gang kommen. Auch hier ereignet sich ein Dreischritt vom Körper zur Seele zum Geist.

Der Mensch ist Gottes Ebenbild. So wie Gott von uns Christen dreifaltig gedacht wird, als Vater, Sohn und Heiliger Geist, so ist auch der Mensch ein dreifaltiges Wesen aus Leib, Seele und Geist. Die drei können und müssen zwar unterschieden, dürfen aber nicht geschieden werden. Das, was die alte Kirche über das Verhältnis der drei göttlichen Personen aussagt, gilt auch hier: Sie sind »ungesondert, ungetrennt, unvermischt und unverwandelt«.

Der Körper lügt nicht. Es gibt ein »Körpergedächtnis«, das Erinnerungen und Verwundungen bewahrt. Deshalb können durch Massage und Körperarbeit mitunter alte Blockaden aufgespürt und gelöst werden. Jedes echte Gefühl ist mit einer Körperwahrnehmung verbunden. Wer auf den eigenen Körper hört und körperliche Symptome nicht unterdrückt, kann sich selbst auf die Spur kommen. Körperübungen wirken auf Seele und Geist, ebenso wie sich seelische Verspannungen immer auch körperlich manifestieren. Unvermischt und ungetrennt.

Die Mystikerin Teresa von Avila fordert uns auf: »Tu deinem Leib etwas Gutes, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.« Und der große württembergische Pietist Friedrich Christoph Oetinger schreibt der Christenheit ins Stammbuch: »Leiblichkeit ist das Ende (Ziel) der Werke Gottes.«
  • 0