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Von allen guten Geistern


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Rolf

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Esoterische Elternkurse





Von allen guten Geistern





Text: * Sven Broder


Warum neigen Eltern im Alltag mit Kindern zu Übersinnlichem? Ein
esoterischer Selbsterfahrungstrip, gepaart mit Fragen an den Neurologen Peter Brugger, der jeden Spuk als Hirngespinst entlarvt.


«Die Seele will, dass das Kind stark wird»: Esoterische Kurse für
Eltern finden grossen Anklang.

Mit einem Kind wird der aufgeklärte Erdenbürger leicht zum esoterischen
Überflieger. Wir singen vom Mann im Mond, als wärs eine
Selbstverständlichkeit. Drückt der Zahn, hilft die Bernsteinkette, fällt
er aus, kommt die Fee. So fängts an.

Und weiter gehts nicht selten in Kursen wie diesem: «Kraft für Kinder».
Für 200 Franken gibt es dreimal zwei Stunden Alltagshilfe für Eltern
«kraft der Spiritualität». Der Kurs ist stets Wochen im Voraus
aus­gebucht. Am Abschlussabend sitzen acht Mütter im Kreis; nicht die
Kupfer-Wolle-Bast-Fraktion, die ich erwartet hatte. Kein Vater. Wie immer.
Die Themen heute: Segnen im Alltag. Kinderkrankheiten und spirituelles
Heilen. Kraft der Gedanken und Worte.

Es brauche keine Vorkenntnisse, ver­sichert Kursleiterin Lisette Huynh.
«Jedoch die Bereitschaft, sich auf den Fluss der ­Spiritualität
einzulassen.» Ich werde mir Mühe geben. Angst, ich könnte sie in die
Pfanne hauen, hat Huynh keine. In ihrer Welt ist alles Bestimmung, nichts
ist Zufall. Das schenkt Seelenruhe.

Dabei böte Lisette Huynh reichlich Angriffsfläche. Sie rühmt sich, in
bewusster Verbindung zu stehen zu den feinstofflichen Lichtwesen und «die
medialen Lichtbotschaften für die Menschen auf die Erde zu bringen».
Strahlen, das kann Lisette Huynh zweifelsohne, übers ganze Gesicht. Diese
Frau, so viel ist ganz offensichtlich, kann nichts und niemandem etwas
Böses. Wäre ich ­eine Fliege, auf ihr liesse ich mich nieder.

Der Wissenschaftler Peter Brugger würde tendenziell eher das Weite suchen.
Er ist überzeugt, dass es nicht in der Welt spukt, sondern im Kopf.

Beobachter: Herr Brugger, Sie erforschen als Neuropsychologe den
Aberglauben und das magische Denken. Täuscht der Eindruck, oder sind
esoterische Menschen einfach besser drauf?

Peter Brugger: Sie sind nicht unbedingt glücklicher, aber genussfreudiger.
Sie gewinnen dem Duft eines frischen Gipfelis oder einem Sonnenuntergang
mehr ab. Der extreme Skeptiker ist eher ein lustloser Mensch. Das kann man
messen.

Beobachter: Wie kann ein Mensch wie Sie da noch positiv 
in den Tag
starten?
Brugger: Ich bin ja kein notorischer Skeptiker. Viele Kollegen finden es
absurd, dass ich mich überhaupt mit der Esoterik beschäftige. Die finden
das alles indiskutabel blöd. Ich nicht. Mich interessiert, was hinter dem
magischen Denken steckt, was im Hirn dabei abgeht.

Beobachter: In diesem Zusammenhang reden Neurowissenschaftler gerne von
Ziegen und Schafen.
Brugger: Ja. Menschen, die an übersinnliche Wahrnehmung glauben, das sind
die Schafe. Die anderen sind die ungläubigen Ziegen. Das stammt aus der
Bibel. Die Schafe waren die Gottgläubigen, die Ziegen die Gottlosen – in
der Parapsychologie wurde das dann übersetzt in Gläubige und Ungläubige an
aussersinnliche Wahrnehmung.

Beobachter: Den Kurs «Kraft für Kinder» haben nur Mütter besucht. Sind
Frauen die grösseren Schafe?
Brugger: Sie sind magieanfälliger. Das hängt damit zusammen, dass ihre
Hirnhälften stärker zusammenarbeiten; also die linke, eher analysierende,
linear denkende, und die rechte, eher ganzheitlich denkende Hemisphäre.
Frauen haben dadurch mehr Freude am weiten Assoziieren. Sie neigen aber
auch dazu, Bezüge und Muster zu sehen, wo nur Chaos herrscht. Dafür sieht
der ex­tre­me Skeptiker nicht mal dort ein Muster, wo sich wirklich eines
verbirgt.

Beobachter: Woher kommt dieser Drang, überall versteckte Botschaften zu
sehen?
Brugger: Der Wahrnehmungsapparat ist besser bedient, wenn er im
Zweifelsfall mehr sieht, als da ist. Nehmen wir den Neandertaler, der sich
in der Savanne versteckt. Plötzlich bewegt sich was im Gras. Nun kann er
immer auf Zufall setzen. Dann wird er garantiert bald gefressen. Oder er
kann einen ­Tiger sehen, auch dort, wo gar keiner ist. Dann ergreift er
ständig die Flucht, bleibt aber am Leben – vielleicht sogar länger fit.

Beobachter: Eine Prise Paranoia kann Leben retten. 
Wann ist zu viel
des Guten?
Brugger: Wenn die Angst zwanghaft wird, etwa vor Elektrosmog. Jede
unruhige Nacht des Babys, seine Schreiattacken, alles wird damit
erklärbar. Irgendwann sehen Eltern überall nur noch Steckdosen und zügeln
das Bett der Kleinen von einer Ecke in die andere.

Beobachter: Worunter auch die Kinder leiden?
Brugger: Unter überängstlichen Eltern aufzuwachsen ist für die Entwicklung
eines Kindes nicht förderlich. Das weiss man. Viele werden später selber
zwanghaft.

Lisette Huynh lässt zuerst Vergangenes Revue passieren. Was ist vom
letzten Kursabend hängengeblieben? Die Berichte muten bescheiden an.
«Spannend fand ich das mit dem Element Wasser», berichtet eine Mutter. Ihr
Kind sei am Abend wie verwandelt aus der Dusche gekommen. Ich ver­stehe:
Duschen als Reinigungsritual. Und nicke instinktiv. Eine andere Mutter
erzählt vom Lüften am Morgen. «Fenster auf, Nacht­sachen raus!» Lisette
Huynh sagt: «Fenster aufmachen ist gut. Aber gib noch einen Fokus hinein.
Dann wird es stärker.» Zur Demonstration schickt sie die Energien mit
Fokus aus dem Fenster. Sie ruft: «So, es isch wägg!»

Nun folgt «spirituelles Heilen» von Kinderkrankheiten. Soweit ich folgen
kann, was für eine Ziege nicht einfach ist, steckt folgende Idee dahinter:
Jede Krankheit hat eine Bedeutung. Und weil die Kinderseele noch hell ist,
nimmt sie im Alltag Dinge auf, die sie wieder loswerden muss, durch
Erbrechen etwa. «Da muss man sich als ­Eltern keine Gedanken machen», so
Lisette Huynh. Eine andere Ursache könne das Auseinanderklaffen von
«Alltags-Ich» und «spirituellem Ich» sein: Wenn das, was aus­sen passiert,
nicht mit dem übereinstimmt, was drinnen ist. Oder umgekehrt, was Huynh
folgern lässt: Wird ein Kind auf dem Schulweg gehänselt und beklagt es
sich zwar darüber, wird aber nicht krank, dann ist das so, weil das Leid
übereinstimmt mit dem Seelenweg. «Die Seele will, dass das Kind stark
wird.»

Weil nach Huynhs Lehre – «und ich habe das ja nicht alles selbst erfunden»
– jede Krankheit eine Bedeutung hat, soll man Symptome nicht einfach
unterdrücken. «Ihr könnt immer ein ‹Zäpfli› geben. Aber das Problem wird
nicht gelöst.» Denn der Körper sei natürlich super: «Der findet immer
einen Weg.» Deshalb ihr Dreipunkte-programm: Krankheit annehmen. Ursache
verstehen. Heilungsprozess auslösen.

Letzteres, indem man dem Kind eine körperliche Information gibt: per
Bachblüten, Homöopathie, Stein- oder Farbenlehre – «und manchmal braucht
es sogar was Schulmedizinisches.» Oder über eine geistige Information.
Huynh erklärt: «Ich schrieb zum Beispiel ‹Ich bin im Frieden mit dem
Leben› auf einen Zettel und habe diesen meinem Kind unters Kopfkissen
­gelegt.»

Beobachter: Herr Brugger, warum sind gerade Eltern oft abergläubisch?
Brugger: Ich finde das nicht paradox. Eltern sind besorgt, dass dem Kind
etwas passiert. Oft überbesorgt. Also machen sie ihm ein Kreuz auf die
Stirn, wenn es das Haus verlässt. Der Glaube an diese Form der magischen
Kontrolle, der symbolischen Verbindung, wirkt beruhigend: Damit habe ich
alles für mein Kind getan – mehr noch als das Menschenmögliche. Alles
Weitere liegt in der Hand Gottes.

Beobachter: Gerade Jungeltern können oft nicht beurteilen, warum ihr Kind
jetzt so herzzerreissend schreit. Hat das auch einen Einfluss?
Brugger: Sicher. Man kann sein Baby ja auch nicht einfach fragen, was es
hat. Und immer gleich zum Arzt rennen findet man auch doof.

Beobachter: Also sucht man nach Erklärungen und kommt dabei leicht auf
schräge Ideen?
Brugger: Ein Babygeschrei kann eben alles und nichts bedeuten – also auch,
dass das Kind noch nicht richtig angekommen ist auf der Welt.

Beobachter: Also sofort zur craniosakralen Therapie…
Brugger: …oder einen Rosenquarz unters Bett. «Hilfts nüt, so schadts nüt.»
Es ist ein wenig wie beim Regentanz. Wenn man lange genug tanzt, wird es
zwangsläufig irgendwann regnen. Doch statt zu tanzen, könnte man sich auch
geduldig hinter dem Ohr kratzen. Ebenso schlafen alle Kinder irgendwann
durch, auch ohne Hokuspokus.

Beobachter: Wie wollen Sie jemanden von der Nichtexistenz von Lichtwesen
überzeugen?
Brugger: Das will ich nicht. Ich will nicht darüber streiten, ob es Engel
gibt. Mich interessiert, warum es so etwas wie magisches Denken gibt. Ich
suche nach dem Muster dahinter, nach naturwissenschaftlichen Regeln. Das
wissenschaftliche Denken aber wird ad absurdum geführt, wenn man sagt,
jeder sei frei, die verrückteste Theorie zu vertreten. Ich staune
manchmal, wie hoch die Toleranz ist für esoterische Spinnereien und wie
hoch die Ignoranz gegenüber Logik und rationalem Denken.

Beobachter: Gibt es denn einen goldenen Mittelweg 
zwischen
Skeptizismus und Aberglaube?
Brugger: Das nennt man dann wohl Kreativität.
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Bei Lisette Huynh folgt das nächste Thema: «Kraft der Gedanken und Worte».
Ich werde aufgefordert, auf einem Zettel stichwortartig festzuhalten, was
mich im fa­mi­liären Alltag beschäftigt. Anschliessend ­lege ich den
Zettel verdeckt ab. Zwei ­Frauen sollen nun versuchen herauszufinden, wie
sich das «anfühlt».

Hände ziehen über den Zettel. Es fallen Sätze wie: «Ich fühle etwas
Rechtsdrehendes.» Lisette Huynh spürt einen «starken Strahl, eine
Energie». Ich bin verblüfft, bringe den Strahl aber nicht in Verbindung
mit dem, was ich aufgeschrieben habe. Verraten darf ich nichts. Noch
nicht. Zuerst müssen die Frauen aus der Energie ab­leiten, wie ich auf das
Problem reagieren könnte. Jetzt tun mir die beiden ein wenig leid. So sehr
sie sich bemühen, was Gescheites will ihnen nicht einfallen. Also lüfte
ich das Geheimnis und decke auf: «Morgenmuffel.» Ich erkläre, dass meine
übertrieben gute Laune nicht gut ankommt. Die Mütter nicken. Nun versteht
man sich, und es entwickelt sich ein tolles Gespräch. Das hätte man
einfacher haben können.

Beobachter: Herr Brugger, ist es illusorisch zu glauben, solche Kurse
könnten was bringen?
Brugger: Nein. Positive Illusion kann ja dazu führen, dass es einem am
Ende tatsächlich bessergeht. Und Spiele mit solchen Zetteln können
durchaus sinnvoll sein. Dann begünstigen sie das freie Assoziieren und
fördern den Austausch mit ­Eltern, die andere Erfahrungen mit ihren
Kindern oder ihrem Partner gemacht haben. Nach solchen Kursen gehen Eltern
bestenfalls mit neuen Inputs nach Hause.

Beobachter: Diese Eltern könnten aber auch einfach einen anregenden
Gesprächsabend mit anderen ­Eltern verbringen…
Brugger: …Ja, und wer abnehmen will, könnte auch einfach Velo fahren. Doch
viele Leute schaffen das nicht. Sie brauchen einen ­fixen Rahmen und
müssen stattdessen ins Fitnessstudio oder in den Meditationskurs, um
endlich mal zur Ruhe zu kommen. Doch das kostet dann eben etwas.

Beobachter: Wo hört für Sie der Spass auf?
Brugger: Bei Scharlatanen, die nur das Geld interessiert und die sich
hinter dem Rücken ihrer Klien­ten ins Fäustchen lachen.

Beobachter: Bitte beenden Sie folgenden Satz: Gefährlich wird das Ganze,
wenn…
Brugger: …das magische Denken das Spielerische verliert. Sobald es
verbissen wird, dogmatisch, und den Betroffenen jedes Mass an skeptischer
Selbstreflexion abhandenkommt. Wenn Eltern zum Beispiel im Wahn, jede
Krankheit sei Bestimmung und Teil des Seelenwegs, so weit gehen und ­ihren
Kindern Transfusionen verweigern.

Aus Zeitmangel bleibt das letzte Thema des Kurses, «Segnen im Alltag»,
­weitgehend auf der Strecke. Ich bin nicht unglücklich darüber. Es braucht
eben doch mehr als einen Kurs, um einer Ziege das Dasein als Schaf
schmackhaft zu machen.

Peter Brugger leitet die Neuropsychologische Abteilung des
Universitätsspitals Zürich. Er erforscht seit Jahren den Aberglauben und
das magische Denken. Peter Brugger ist verheiratet und Vater von drei
Kindern im Alter zwischen 17 und 22 Jahren.
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