Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Der Glaube lebt nicht vom Papst allein


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34134 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!




DIE ZEIT, 19.04.2007 Nr. 17




Der Glaube lebt nicht vom Papst allein



von Jens Jessen



Das Christentum hat mehr subversive Kraft, als dem Staat lieb ist. Antwort auf Armin Nassehi

Der Papst ist populär. Das Fernsehen überträgt, die Klatschpresse berichtet, Open-Air-Messen werden auch von der hipperen Jugend gefeiert. Die Trendforscher haben sich auf das Schlagwort von der Wiederkehr des Religiösen geeinigt, und so hat, um dem modischen Phänomen auf die Spur zu kommen, der Münchener Soziologe Armin Nassehi die christliche Religion einem Schneidertest unterzogen. Er ist zu dem wohlwollenden Ergebnis gekommen: Sitzt tadellos und hat noch Luft, passt allen Konfektionsgrößen, vor allem in der katholischen Façon (die protestantische ist etwas enger geschnitten), kein Wunder, dass sich das Modell wachsender Beliebtheit erfreut.

Doch ehe sich die aufgeklärteren Kirchenvertretern freuen, dass der Glaube offenbar seinen »Sitz im Leben« wieder gefunden hat, wie das einschlägige Stichwort lautet, das Nassehi mit schönem Spott gebraucht, sollten sich die Geistlichen fragen, bei welcher Anprobe in welcher Umkleidekabine der Professor eigentlich sein Lob gewonnen hat. Sein Kunde ist nämlich nicht der Mensch schlechthin, sondern der aufgeklärte Westbürger in der weltanschaulich neutralen Demokratie, dem er versuchsweise in die christliche Konfession geholfen hat (Wollen Sie mal reinschlüpfen?), um anschließend festzustellen: Na geht doch, tadellos. »Die eigentlich praktische Frage, die sich dahinter verbirgt, ist die nach der ›guten‹ Religion«, heißt das Kriterium in der Ausdrucksweise des Soziologen: »Eine gute Religion muss mit gesellschaftlichem und religiösem Pluralismus umgehen können. Sie muss mit der Idee und der Praxis der individuellen Freiheit kompatibel sein, und sie muss sich auf gleicher Augenhöhe auf einen Dialog mit anderen Religionen einstellen können.«

Mit anderen Worten: Die gute Religion im Sinne Nassehis soll nicht mit anderen Religionen in Streit geraten, sie darf den Gläubigen nichts vorschreiben und soll zu der Gesellschaft, wie sie sich wildwüchsig entwickelt, keine starken Meinungen entfalten. Einmal abgesehen davon, dass eine solche Religion keine Religion, sondern ein Wellness-Programm wäre, verblüfft die Selbstverständlichkeit, mit der Nassehi davon auszugehen scheint, dass es Gesellschaft und Staat sind, die Forderungen an die Religion zu stellen und über ihre Eignung zu befinden haben. Staat und Gesellschaft sind für ihn das Absolute (sie stellen sozusagen die Körpermaße), und die Religion ist das, was dieser Lebensform auf den Leib zu schneidern ist.

Selbst wenn man zugesteht, dass dieser Soziologe selbst nicht gläubig ist oder sein will, müsste er doch als Wissenschaftler wissen, dass es sich gerade umgekehrt verhält: Die Religion ist ihrem Wesen nach das Absolute (oder verwaltet die Kenntnis davon) – und wenn es etwas gibt, dass sich anzupassen hat, dann sind es Gesellschaft und Staat. Gott hat Himmel, Erde und Mensch geschaffen, aber nicht die pluralistische Demokratie, und auch die Menschwerdung seines Sohnes sollte nicht zuvörderst die Gestalt des bundesdeutschen Grundgesetzes annehmen. Weniger polemisch formuliert: Das Christentum ist seit zweitausend Jahren auf der Welt, es hat die verschiedensten Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsformen überdauert oder geprägt, es ist in seinem Kern nicht auf eine besondere Form angewiesen. Für Christen sind jeder Staat und jede Gesellschaft nur transitorisch, und mögen sie noch so drückend oder bequem sein.
  • 0