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Nächste, Brüder, Freunde, Feinde


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Rolf

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Nächste, Brüder, Freunde, Feinde



Nächste


Natürlich fällt uns in diesem Zusammenhang die Nächstenliebe als erstes ein und das ist auch richtig so. Das Gebot der Nächstenliebe ist der biblische Rahmen um alle Fragen des Miteinanders zwischen Menschen.

Wir finden es schon früh im Alten Testament in 3. Mose 19,18: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR.

Das „wie dich selbst“ meint hier allerdings nicht das Gebot zur Selbstliebe wie oft fälschlich behauptet wird. Die Selbstliebe ist hier die Maß- und Zielangabe für die Nächstenliebe. Es beinhaltet sowohl das DAS der Nächstenliebe, als auch das WIE.
Ein Gebot zur Selbstliebe finden wir in der Bibel nicht. Das bedeutet nicht, dass die Bibel diese Liebe verneint, sondern wohl vielmehr, dass sie nicht geboten werden muss, da sie immer schon da ist.
Bedenken wir nun Folgendes: Ein Gebot Gottes ist immer dort vonnöten, wo Gott eine Gefährdung für den Menschen und die Menschengemeinschaft sieht. Alle Gebote setzen voraus, dass hier dem Menschen etwas gesagt werden muss, was er von sich aus nicht tun bzw. lassen würde. Das Gebot der Nächstenliebe schafft eine gesunde Pattsituation in einem gefährdeten Raum. Ohne die Nächstenliebe breitet sich der Dämon uneingeschränkter Selbstliebe aus. Darum lautet das Gebot nicht nur: Liebe deinen Nächsten, sondern es schafft mit dem Zusatz „wie dich selbst“ diese 50:50 Situation.
Das Motto „Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht.“ bringt also keine heile Welt.

In Lukas 10,29-37 (Der barmherzige Samariter) beschreibt Jesus den Nächsten in einem weiten Radius. Nächste sind nicht nur die, die ich stets nahe um mich habe, sondern jeder kann zu meinem Nächsten werden. Es geht also nicht um positiv gefühlte Nähe, sondern um die Nähe ist eine immer wieder neue Wirklichkeit, je nach dem, mit wem ich zu tun bekomme. Nächste sucht man sich nicht aus.
Schon im Alten Testament ist „der Nächste“ ein Begriff, der kritische Beziehungen umgreift. So ist auch der Fremde im Lande ein gewürdigter Nächster (3. Mose 19,33-34).

Aber der Radius geht noch weiter. Es geht nicht nur um die Frage „WER ist mein Nächster?“, sondern auch um die Frage: „Was bedeutet es, meinen Nächsten zu LIEBEN?“

Wir müssen uns von dem Gedanken frei machen, dass Liebe vor allem ein Gefühl ist. Wir überfordern uns mit dem Anspruch, für jeden, der uns zum Nächsten wird, starke Gefühle der Liebe zu entwickeln.
Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist keine Rede vom Liebesgefühl. Der Samariter hilft dem Nächsten. Damit hat er das Gebot der Nächstenliebe erfüllt.
Alle Nächstenliebe wird in der Bibel als Tat dargestellt, nicht als Gefühl. Unser übliches Denken, dass wir etwas aus Liebe tun, wird hier quasi umgekehrt: Die Liebe resultiert aus der Tat. Die Beziehung und das Gefühl wachsen aus der praktischen Zuwendung.

Dies ist ein Grundsatz für alle Beziehungen, in denen wir leben. Die Grundlage aller gesunden Beziehungen muss in der tätigen Liebe zum Nächsten bestehen. Damit ist auch gesagt, dass der Nächste natürlich nicht nur am äußersten Rand des Radius zu finden ist, sondern auch der ist mein Nächster im Sinne der Samaritergeschichte, mit dem ich täglich lebe: Meine Eltern, mein Ehepartner, meine Geschwister, meine Kinder usw.
Oft fällt es uns leichter, den Übernächsten zu lieben, den wir wenig kennen, dem wir kurz begegnen, dessen negative Seiten wir weder kennen lernen, noch aushalten müssen.

Die Nächstenliebe ist z.B. auch dann in der Ehe ein Gebot, wenn die geschlechtliche Liebe nicht mehr trägt oder das starke Gefühl nicht mehr da ist. Nächstenliebe ist die bleibende Grundsubstanz. Das kann für Ehepaare ein echter Rettungsanker sein. Viele Ehen werden vorschnell geschieden, weil das Gefühl der Liebe weg ist. Eine Treuebeziehung wie die Ehe lebt jedoch nicht über Jahre von starken Gefühlen, sondern von der bleibenden Substanz der tätigen Nächstenliebe. Auf dieser Grundlage erleben intakte Ehen ein Auf und Ab des Liebesgefühls.

Geschwister

Wie bereits gesagt, gehört auch die Familie in den Kreis der Nächsten. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass das Leben mit Geschwistern nicht frei ist von Spannungen. Schon das erste Geschwisterpaar der Bibel, Kain und Abel gerät in einen tödlichen Konflikt, der vom Neid ausgelöst wird. Alle Vätergeschichten des Alten Testamentes sind von dieser Problematik durchzogen:
Isaak und Ismael (1. Mose 21)
Jakob und Esau (1. Mose 25,21-23)
Die Söhne Jakobs (Joseph und seine Brüder – 1. Mose 37)

Immer wieder geht es um die Gunst Gottes oder des Vaters. Geschwisterkämpfe sind bis heute ein Thema in Familien, sowohl als Kinder als auch als Erwachsene und häufig nach dem Tod der Eltern in der Erbfrage.
Wir finden in der Bibel keine ausdrückliche Weisung zum Umgang der leiblichen Geschwister miteinander. Selbst die Vätergeschichten enden nur bei Jakobs Söhnen mit einer Versöhnung. Bei den anderen bleibt es bei einem Nebeneinander der Völker, das nicht immer friedlich abging.

Bruderschaft des Gottesvolkes

Dennoch ist das Bild vom Bruder zu einem Symbolwort des Friedens und des Zusammenhaltes in Israel geworden. Die Erinnerung der zwölf Stämme Israels daran, dass sie alle von Jakob stammen und Brüder sind, soll das Volk beisammen halten und fordert es auf, gemeinsam Feinden zu widerstehen und einander zu helfen. Von daher lässt sich ableiten, was Gott auch über der leiblichen Geschwisterschaft in den Familien für Gedanken hat, denn Bruderschaft kommt ja vom Verständnis familiärer Bindung her.

Schon im frühen Königsgesetz in 5. Mose 17 lesen wir in Vers 15 und 20 vom König als Bruder. Das Prinzip des primus inter pares (Erster unter Gleichen) wird hier zum Königsgesetz. Dass der König nicht ein Gott, sondern Bruder ist und bleibt, gehört zu den Besonderheiten Israels in alter Zeit.

Bruderschaft im biblischen Sinne hat konkrete Lebensäußerungen, die im Folgenden benannt werden:

- Dem bedürftigen Bruder helfen (5. Mose 15,7)
- Keine Zinsen vom Bruder nehmen (3. Mose 25,35-37)
Im Unterscheid zu den umgebenden Völkern, die bis zu 30% Zinsen voneinander nahmen
- Den Bruder nicht als Schuldsklaven nehmen (3. Mose 25,38-41)
Besonders hier wird deutlich, wie vom König bis zum Schuldner der Titel „Bruder“ gilt.
- Den Bruder nicht hassen (3. Mose 19,17-18)
Interessant ist hier, dass dem Hass nicht die Liebe gegenübergestellt wird, sondern die Zurechtweisung. Im Konfliktfall soll es also nicht zu einem stillen, heimlichen Groll, sondern zu offener Aussprache kommen. Auch hier kommt zum Vorschein, dass Nächstenliebe nicht zuerst ein Gefühl, sondern eine Tat ist. Die Zurechtweisung ist ein Akt der Nächstenliebe.

Wir sehen also dass der Bruder und der Nächste zwei eng verwobene Begriffe sind, die nicht vom Gefühl, sondern aus der Wirklichkeit des Zusammenlebens und der Begegnung resultieren. Bonhoeffer sagt in seinem Buch >Gemeinsames Leben<: „Bruderschaft ist kein Ideal, sondern eine Wirklichkeit.“

Freunde

Etwas anders ist die Lage unter Freunden. Auch hier bleibt der ständige „Bodensatz“ die Nächstenliebe. Aber es kommt hier das Gefühl hinzu. Unter Freunden ist die Liebe durchaus die gefühlte Liebe. Als stärkstes Beispiel für die Freundschaft berichtet uns die Bibel von Jonathan und David.
In 1. Samuel 18,1 lesen wir: Als David aufgehört hatte, mit Saul zu reden, verband sich das Herz Jonatans mit dem Herzen Davids, und Jonatan gewann ihn lieb wie sein eigenes Herz.
Man könnte die Nächstenliebe von der Freundesliebe so unterscheiden.
Nächstenliebe bedeutet: Ich setze mich für den Nächsten genauso ein, als ginge es um mich.
Freundesliebe bedeutet: Ich fühle für den Freund die gleiche Liebe wie für mich.

Der letzte Abschied der beiden Freunde lasst uns spüren, wie tief diese Freundschaft war (1Sam 20,40-42 und 2Sam 1,26). Als Zeuge für die Echtheit und Treue der Freundschaft wird Gott angerufen.

So kennt und legitimiert die Bibel die besondere, herausgehobene Liebe der Freunde. Falsch verstandene Gleichmacherei aller ist ihr fern.
Die tätige Nächstenliebe soll die Freundesliebe nicht ersetzen, sondern dafür sorgen, dass niemand aus dem Bund der Bruderschaft unter Gott heraus fällt, selbst wenn er keine Freunde hat. Praktisch sehen wir dies heute in Gemeinden, die einen Besuchsdienst oder diakonische Dienste anbieten. Es soll nicht dem Wechselspiel der freundschaftlichen Beziehungen unterworfen sein, ob Menschen beachtet und versorgt werden.

Feindesliebe

Jesus stellt direkt neben die Freundesliebe die Feindesliebe (Matthäus 5,43-48): Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen2, 45 damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. 46 Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? 48 Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Auf den ersten Blick ist dies eine Überforderung für jeden Menschen. Es beinhaltet aber einige Schichten, die es zu differenzieren gilt:

1. Was ist ein Feind?

Ist ein Feind der, dem ich feind bin oder der mir feind ist? Feindschaft ist kein neutraler Zustand, der sich einstellt. Feindschaft ist ein Akt des Herzens.
Feindschaft ist ja nichts weiter als ein persönlich verhärteter Konflikt. Ein ungeklärter Streitpunkt ist von der sachlichen auf die persönliche Ebene gerückt und verhärtet sich dort zur Feindschaft.

2. Wie verhalte ich mich?

Zwischen Feinden geht es in der Regel nicht mehr um Vergebung oder Klärung des Konfliktes, sondern um Sieg oder Niederlage. Bin ich jemandem gegenüber feindlich gesinnt und verharre darin, so lebe ich im Widerspruch zum Wort Gottes, das mich zur Klärung und Vergebung anweist (3. Mose 19,17 / Eph 4,25-27).
Ich kann den anderen u.U. nicht zum Frieden bewegen, aber mein Verhalten muss nicht dem des anderen gleichen (Römer 12,18-21).
Luther sagt es so: „Wenn du ein Dornbusch sein willst, muss ich nicht auch einer werden.“
Unter allen Umständen ist es also geboten, in Konflikten bei der Sache zu bleiben und die Sache zu klären. Lässt sie sich nicht klären, so sollen wir einander ertragen. Paulus rät sogar dazu, sich lieber übervorteilen zu lassen, als aus eigenem Rechtsempfinden Feindschaft und Dauerstreit werden zu lassen (1. Korinther 6,7+8). Dies ist auch eine gute Auslegung des bekannten Jesuswortes aus Matthäus 5,39: Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« 39 Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. 40 Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel.
Unser übliches Rechtsempfinden sagt: Lieber Feindschaft aushalten, als sich über den Tisch ziehen lassen. Auch dieses Thema steht unter dem Leitsatz aus Matthäus 6,33: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
Ganz offenbar steht das Rechthaben bei Gott nicht an oberster Stelle, sondern die sanftmütige Haltung.

3. Praktische Feindesliebe

Die Feindesliebe ist in ihrer Konkretion allerdings mehr als das Stillhalten. Schön der o.g. Text aus Röm 12 zeigt die aktive Seite. Die Not des Feindes übersteigt die Feindschaft und der Feind wird zum Nächsten. Schon das Alte Testament gebietet die praktische Feindesliebe, denn Paulus zitiert ja im Röm 12 die Sprüche Salomos 25,21+22. Wie das Böse mit Gutem überwunden wurde zeigt der Bericht aus 2. Könige 6,8-23


Schluss

Die Nächstenliebe gehört zu den Grundberufungen des Menschen. Ohne sie sind die drohenden Zerwürfnisse und Brüche nicht zu heilen geschweige denn zu verhindern. Nächstenliebe heilt nicht nur den Nächsten, sondern dabei auch den Liebenden, der dem Virus der Selbstbezogenheit positiv entrissen wird. Gott selbst machte in Jesus vor, was er mit demütiger Liebe meint (Phil 2,1-11)

LKG Verden, Gerd Voß, 12.4.2007

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