Pastor Gottfried Martens von der Evangelisch-Lutherischen Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz bei der Taufe eines iranischen Kindes © Lukas Schulze/dpa
Vor einigen Monaten bekam Pfarrer Weber ungewohnten Besuch. Fünf junge Afghanen drängten sich in seinem Sprechzimmer und hatten nur einen Wusch: Sie wollten getauft werden und das bitte so schnell wie möglich. Die Männer leben als minderjährige Flüchtlinge im Wohnheim einer saarländischen Stadt. Die katholische Pfarrkirche hatten sie sich ausgesucht, weil es die nächste war. Doch Weber musste sie enttäuschen: Christ wird man in der katholischen Kirche nicht von heute auf morgen.
Gesicherte Zahlen darüber, wie viele Muslime in den vergangenen Monaten zum Christentum konvertiert sind und ob ihre Zahl angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen zugenommen hat, gibt es nicht. Doch auch wenn spektakuläre Fälle wie etwa die
eher die Ausnahme sein dürften, lässt sich punktuell in einigen Gemeinden durchaus ein deutlicher Anstieg von Neuchristen feststellen.Im Haus Gotteshilfe in Berlin Neukölln, einer landeskirchlichen Gemeinschaft innerhalb der evangelischen Kirche zum Beispiel, sind allein zwischen Januar und April dieses Jahres 85 Muslime getauft worden, an den kommenden Sonntagen werden 65 weitere dazukommen. Sie alle sind Flüchtlinge aus dem Iran, Afghanistan oder Aserbaidschan. Auch die Gemeinde von Pastor Gottfried Martens in Berlin-Steglitz erfreut sich seit Längerem großer Beliebtheit vor allem bei Iranern. In den vergangenen fünf Jahren ist sie um 850 Perser angewachsen, 350 weitere befinden sich in der Taufvorbereitung. "Früher waren wir eine Seniorengemeinde", sagt Diakonisse Rosemarie Götz aus Neukölln. Das hat sich gründlich geändert.
Nach Angaben des Bundes der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Deutschland (BEFD) wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren etwa 700 Iraner und Afghanen getauft. Auch wenn diese Zahl angesichts von 800 Mitgliedsgemeinden nicht riesig sei, sei doch eine "deutliche Zunahme vor allem bei Iranern" zu beobachten, sagt Thomas Klammt, Referent für Integration und Migration.
Einfach ist das Christwerden nichtEine "gewisse Zunahme von Anfragen" verzeichnet man auch in den katholischen Bistümern Speyer und Köln. Statt wie sonst zwei bis drei Muslime im Jahr gäbe es derzeit 13 Anwärter für den Katechumenat genannten Vorbereitungskurs auf die Taufe, sagt Felix Goldinger, Mitarbeiter des bischöflichen Ordinariats in Speyer. Aus den Gemeinden wisse man zudem von vielen weiteren Interessenten. Das Bistum Speyer hat deswegen sogar eine Handreichung herausgegeben, die den Gemeinden dabei helfen soll, mit dem Taufwunsch von Geflüchteten angemessen umzugehen. Ähnliche Schriften gibt es auch von der Evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz.
Einfach gemacht wird das Christwerden den Neulingen nämlich nicht. Für viele Muslime dürfte das eine durchaus erstaunliche Erfahrung sein. Denn im Islam reicht es, das Glaubensbekenntnis in Anwesenheit von zwei Zeugen zu sprechen, um Muslim zu werden. Der Taufe geht dagegen in fast allen Kirchen eine umfangreiche Vorbereitungszeit voraus, die zwischen einem halben und zwei Jahren dauern kann. Die Interessenten sollen den Glauben nicht nur kennenzulernen, sie sollen auch die Gelegenheit haben, gründlich zu prüfen, ob das Christentum wirklich etwas für sie ist.
Spannend ist dieser Prozess nicht nur für die Taufwilligen sondern auch für ihre Begleiter. "Dieses Interesse überfordert mich als Theologe manchmal fast", sagt zum Beispiel der katholische Pastoralreferent Goldinger, der die fünf Afghanen aus dem saarländischen Städtchen betreut. Die Jungs stellten wirklich die Grundfragen des Glaubens. Was passiert nach dem Tod? Was heißt Auferstehung? Dass sie gerade diese Themen so interessierten, führt Goldinger auch auf ihre traumatischen Erlebnisse während der Flucht zurück. Manchmal sind es aber auch banalere Fragen, die geklärt werden müssen. Warum man sich in der Kirche die Schuhe nicht auszieht, zum Beispiel.
Unterschiedliche IslambilderSchwierig findet Goldinger, wie die jungen Geflüchteten mit ihrer Islamerfahrung umgehen. Ein Grund für deren Hinwendung zum Christentum sei eben, dass sie ihre Ursprungsreligion in einer sehr fundamentalistischen und gewalttätigen Variante kennengelernt hätten. Goldinger versucht ihnen klarzumachen, dass der Islam so nicht sein muss, dass es in Deutschland viele Muslime gibt, die ihren Glauben anders leben. An ihrem Wunsch, Christen zu werden, hat das bislang nichts geändert. "Für sie ist der Religionswechsel auch eine Chance, einen echten Neuanfang zu machen", glaubt Goldinger.
Viele Flüchtlinge sehen sich natürlich dem Verdacht ausgesetzt, ihr Interesse am christlichen Glauben beruhe allein auf der Hoffnung, ihre Anerkennungschancen als Asylbewerber zu verbessern. Tatsächlich kann der Übertritt zum Christentum vor der Abschiebung in Länder schützen, in denen konvertierte Muslime verfolgt werden. Das gilt besonders für den Irak, den Iran und Afghanistan. Sicher ist das aber keineswegs. Denn die Gründe für den Glaubenswechsel werden von den Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie von Richtern überprüft. Der Flüchtling muss beweisen, dass er die neue Religion kennt, und glaubhaft machen, dass es ihm damit wirklich ernst ist.
Edwin Witt, Gemeindeleiter im niedersächsischen Varel, hat erlebt, dass selbst sein Zeugnis für einen Getauften einen Richter nicht überzeugen konnte. Auch eine Abschiebung im Rahmen des Dublin-Abkommens, also die Rückführung in das erste EU-Land, in dem die Flüchtlinge ankamen, verhindert ein Glaubenswechsel nicht. Weil aber in den europäischen Staaten unterschiedliche Regeln gelten, kann eine Ausweisung etwa nach Schweden am Ende auch die erzwungene Rückkehr in den Iran bedeuten.
"Ihr kümmert euch nur noch um die Iraner"Viele von denen, die in Deutschland Kontakt zu christlichen Gemeinden suchen, haben sich aber bereits vor ihrer Flucht für das Christentum interessiert, häufig war das sogar der entscheidende Fluchtgrund. Witt schätzt, dass dies bei etwa zwei Drittel seiner rund 50 iranischen Gemeindemitglieder der Fall gewesen sei. Die meisten der iranischen Neuchristen hätten in ihrer Heimat gute Jobs und auch ein gutes Leben gehabt, sagt auch Diakonisse Götz. Viele hätten keinen Fluchtgrund gehabt – außer ihrer Hinwendung zum Christentum.
Ohnehin ist es für Muslime keine einfache Entscheidung, die Religion zu wechseln. Eine Konversion ist im Islam nicht vorgesehen – und sie
, von Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zu staatlicher Verfolgung und Todesstrafe. Auch Freunde und Verwandte können in Mithaftung genommen werden. In Deutschland sind die Folgen sicher weniger schwerwiegend, trotzdem müssen Muslime, die Christen werden, , Freundschaften und familiäre Verbindungen können zerbrechen. Vielen geht es deswegen wie den jungen Afghanen aus dem Saarland: Solange sie noch in einer Asylbewerberunterkunft leben, halten sie ihre neuen Kontakte lieber geheim.Doch auch in den christlichen Gemeinden lösen die Neuen mitunter Irritationen aus. Das gilt erst recht, wenn die deutsche Ursprungsgemeinde klein und die Zahl der Neuzugänge relativ groß ist. So wie in der freikirchlichen Gemeinde in Varel, wo zu den etwa 150 deutschen Gemeindeangehörigen mittlerweile rund 50 Iraner dazugekommen sind. Vielen Älteren ging das zu schnell, berichtet Gemeindeleiter Witt. "Ihr kümmert euch nur noch um die Iraner", klagten manche Alteingesessenen.
Predigt auf FarsiWitt reagierte pragmatisch. Er hängte Fotos der Neuen mit ihren Namen darunter auf. Bot eine Freizeit an, 60 Leute kamen mit, die eine Hälfte Deutsche, die andere Hälfte Iraner. "Am Ende hatte jeder 30 neue Leute kennengelernt", sagt Witt. Das Gefühl von Fremdheit verschwand. Mittlerweile hat man sich in der Gemeinde auch daran gewöhnt, dass in den Gottesdiensten häufig ein Übersetzer dabei ist, die Predigt hört man dann noch mal auf Farsi. Liedtexte werden zweisprachig an die Wand projiziert. Manchmal laden die Iraner anschließend zu einem persischen Imbiss ein. Von deutscher Seite gibt es wiederum viel Unterstützung bei allen existenziellen Fragen: der Suche nach Wohnungen und Arbeit, der Ausstattung mit Möbeln, beim Deutschlernen oder bei Behördengängen.
"Die Iraner haben unsere Gemeinde stark verändert", sagt Witt. Sie sei jünger geworden – nicht zuletzt weil die jungen Iraner wiederum junge Deutsche anziehen. Und vielfältiger, auch was Glaubenserfahrungen angeht. Die Konversion von Muslimen, in Varel und anderswo hat sie sich als Prozess erwiesen, der beide verändert: die neuen und die alten Christen.
Mitarbeit: Vanessa Vu